Der Wolfsmann
wenigsten erwartet, dass er ihn jetzt daran erinnerte. Doch die Worte des Lorvaners hatten eine unerwartete Wirkung. Sie weckten etwas in ihm. Mythor hatte das Gefühl, aus unendlicher Tiefe kommend im Licht der Welt aufzutauchen und wieder frei atmen zu können. Er zwang sich, auf den Marktplatz zu blicken, wo nun nur noch der Kopf der Statue blutrotes Licht spendete. Er sah hin, nahm die Szenerie in sich auf, sah Nyala wie eine Hündin vor den Füßen ihres Herrn kauern.
Er zwang sich dazu, zu akzeptieren, was geschehen war. Es kostete ihn fast übermenschliche Überwindung. Drundyr hatte neue, schreckliche Tatsachen geschaffen. Die Caer waren unterwegs zum Hafen und nicht länger ihre direkten Gegner.
Die Gegner, mit denen sie es aufzunehmen hatten, füllten den Marktplatz. Die schwarzen Wölfe hatten sich erhoben und schlichen hechelnd, nach Beute witternd, umher, liefen in die dunklen Straßen und verschwanden darin.
»Wir werden nicht vor ihnen fliehen!« sagte Mythor. Seine Stimme war fest. In seinen Augen funkelte es entschlossen. »Wir werden kämpfen, Nottr, um diese Frau und für das Licht! Wenn wir Lockwergen dem Dämon überließen, wäre dies der Anfang einer nie endenden Flucht vor den Mächten der Finsternis. Nein, Nottr! Sollte es meine Bestimmung sein, die Lichtwelt vor der um sich greifenden Finsternis zu bewahren, dann kann es keine Wahl geben.«
Nottr blickte ihn skeptisch und unsicher an.
Und Mythor dachte an den Helm der Gerechten und die anderen Hinterlassenschaften des Lichtboten, die er finden sollte, um sich selbst und seine Ausrüstung zu vervollkommnen.
Alles, was er bisher hatte, war das Gläserne Schwert, und selbst dies war in seinen Händen immer noch mit einem Makel behaftet. Doch er musste mit dem kämpfen, was er zur Verfügung hatte.
»Und wie?« fragte Nottr.
Mythor sah, dass nun auch Kalathee am Fenster stand. Offensichtlich war sie durch die Unterhaltung der Männer auf das, was sie sehen würde, vorbereitet genug, um nicht schreiend zusammenzubrechen. Sie begegnete Mythors Blick, und Mythor sah in ihrem Gesicht außer der Angst etwas, das er nicht deuten konnte. Es beunruhigte ihn.
»Ich kann und will euch nicht zwingen, euer Leben aufs Spiel zu setzen, um.«
»Red keinen Unsinn!« flüsterte Sadagar.
Mythor nickte grimmig. »Dann hört mir zu!«
*
Nyala von Elvinon war ein Name aus längst vergessener Vergangenheit. Er bedeutete ihr nichts mehr. Was war Elvinon mehr als eine Station ihres Lebens, eine Stadt, in der sie herangewachsen war und die nun den Caer gehörte? Sie war Nyala, die Gefährtin Corchwlls, war an seiner Seite Herrin über die schwarzen Wölfe.
Auch Drundyr war ein für sie abgeschlossenes Kapitel. Er war mächtig gewesen, doch die Macht des Corchwll war ungleich größer. Nyala ging ganz in seiner Ausstrahlung auf, die fast alle Zweifel, die sie in Drundyrs Nähe hin und wieder noch beschlichen hatten, auslöschte.
Sie hatte kein eigenes Ich mehr. Sie war Werkzeug und Teil eines gewaltigen Planes.
Auch Herzog Krude war nur noch ein abstrakter Begriff. Nyala hatte keinen Vater mehr. Ihr Körper war aus Fleisch geboren, ihre Seele aus der Dunkelheit.
Sie sah, noch am Boden kauernd, zu Corchwll auf. Der Wolfsmann reichte ihr eine Hand, bepelzt wie sein ganzer muskulöser Körper. Sie ergriff sie und ließ sich von ihr hochziehen.
Corchwll überragte sie um zwei Köpfe. Seine Augen leuchteten in der Dunkelheit gelb wie die seiner Wölfe. Die spitzen Ohren bewegten sich, um den Geräuschen der Umgebung zu lauschen. Corchwll verstand die Sprache seiner Wölfe. Er war einer von ihnen, ihr Gebieter.
Er antwortete auf ihr Heulen, und es war vom Heulen der Wölfe nicht zu unterscheiden.
Die schwarzen Schatten ergossen sich in die verlassenen Straßen, auf der Jagd nach Leben, das in Lockwergen nichts mehr zu suchen hatte.
Dann senkte Corchwll den mächtigen Kopf. Sie sah, wie er die Lefzen schürzte. Mächtige Reißzähne traten zum Vorschein, die Nyala keine Furcht einjagten. Ganz im Gegenteil war sie von Corchwlls Aussehen in Bann geschlagen. Sie wollte sein wie er.
Als habe der Wolfsmann ihre Gedanken gelesen, kam es heiser und krächzend aus seinem Rachen: »So bist du meine Gefährtin, doch Drundyr gab dich mir unvollkommen. Du wirst Vollkommenheit erhalten, Menschenweib. Bevor die Nacht zweimal dem Tage weicht, wirst du sein wie ich.«
»Wie du?« hauchte sie.
»Die Schwester der schwarzen Wölfe!« bestätigte Corchwll in der Sprache
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