Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
war so schwer, dass sie es selbst mit beiden Händen kaum halten konnte. Sie schüttelte kläglich den Kopf und gab es ihm zurück, dann setzte sie sich wieder. »Ich fühle mich sehr viel sicherer, wenn das da in Euren Händen ist und nicht in meinen. Es ist allerdings sehr schön. Eine hervorragende Arbeit. Ist es ein Familienerbstück?«
Byrne räusperte sich. »Die Königin – Eure Mutter – hat es für mich herstellen lassen, als ich … zum Zeitpunkt ihrer Krönung. Als ich Hauptmann wurde. Marianna sagte, dass es zum Ausdruck bringe, dass das wahre Geschlecht von Hanalea in meinen Händen liegt.«
Sein Gesicht, das von jahrzehntelangem Schmerz gezeichnet war, enthüllte vermutlich mehr, als er wollte.
Raisa starrte den Hauptmann an, und vor Überraschung blieb ihr der Mund leicht offen stehen. Byrne blickte rasch zur Seite, als hoffte er, so die Erkenntnis in ihren Augen auslöschen zu können.
Er liebt sie, dachte Raisa. Ich bin so dumm gewesen, dass ich das nicht schon früher gesehen habe.
Raisa erinnerte sich an die Worte ihrer Mutter, als sie ihr erklärt hatte, warum zwischen ihr und Amon nie etwas anderes als Freundschaft sein könnte.
Er ist Soldat , hatte die Königin gesagt , und sein Vater ist Soldat, und auch dessen Vater … Aber das ist auch alles, was sie jemals sein werden.
Raisa hätte fast den gleichen Fehler gemacht wie ihre Mutter – was den Hauptmann betraf. Sie hatte Edon Byrne vor allem als zuverlässig, ruhig, fähig und praktisch denkend angesehen. Ohne auch nur einen Hauch von Romantik in seinen Knochen. Der Hauptmann Byrne, den sie kannte, war direkt und ehrlich – kein Mensch, der irgendwelche Geheimnisse hütete.
Sie hatte sich so geirrt. Sie hatte sich in so vielem geirrt.
Ihr habt Euer ganzes Leben mit einem gebrochenen Herzen verbracht, dachte Raisa, während sie Byrne anstarrte. Warum musstet Ihr dann auch noch meines brechen?
Und bevor ihr so richtig klar wurde, was sie da eigentlich tat, sprach sie ihren Gedanken laut aus. »Wieso habt Ihr es getan?«, fragte sie sanft. »Wieso habt Ihr mir Amon genommen?«
»Eure Hoheit«, sagte er. Seine Miene, seine Haltung, die Art, wie er die Hände bewegte – all das verriet ihr, dass sie sich besser zurückhalten sollte. »Ich weiß nicht, was Ihr meint.«
»Ich werde nicht schweigen, nur um es für alle anderen leichter zu machen«, fuhr Raisa unerbittlich fort. »Ihr sitzt hier mit mir fest, also könnt Ihr auch genauso gut darüber reden.«
Byrne ließ sich nach vorn auf die Knie sinken und nahm den Topf von den Flammen. »Ich sollte jetzt besser gehen und den Pferden etwas zu trinken bringen«, sagte er.
»Ich werde noch hier sein, wenn Ihr zurückkommt«, erwiderte sie. »Wir können jetzt darüber sprechen oder später.«
Er seufzte tief und stellte den Topf ins Feuer zurück, ehe er sich auf die Fersen hockte. »Ich vermute, Ihr sprecht davon, dass ich Korporal Byrne zu Eurem Hauptmann auserwählt habe?«, fragte er.
»Ich bin sehr zufrieden damit, dass Amon mein Hauptmann sein wird«, antwortete Raisa. »Ich spreche von dem Band oder – oder von der Bindung, oder wie immer Ihr das bezeichnet.« Sie zitterte, als sie sich daran erinnerte, welch entsetzlichen Schmerz Amon schon bei einem einfachen Kuss hatte erleiden müssen. Als Byrne nichts sagte, fügte sie hinzu: »Wieso war das nötig? Und wieso ist es ein so großes Geheimnis?«
Deshalb ist es ein Geheimnis, sagte Byrnes Miene. Wegen Gesprächen wie diesem.
»Alle Hauptleute sind an ihre Königinnen gebunden«, erklärte Byrne schließlich. »So ist es seit der Großen Zerstörung.«
»Habt Ihr wirklich gedacht, es wäre nötig, Amon an mich zu binden?« Raisa hob die Hände mit den Handflächen nach oben. »Wir sind seit unserer Kindheit Freunde.«
»Ich habe es für das Königinnen-Geschlecht getan«, sagte Byrne. In dem Blick, mit dem er sie ansah, lag keinerlei Bedauern. »Ich habe es nicht getan, um Euch von meinem Sohn fernzuhalten. Oder meinen Sohn von Euch.«
»Seid Ihr sicher?« Raisa spürte in diesem Moment einen Hauch von Gemeinheit in sich. Sie wollte Byrne Schmerz zufügen, als Ausgleich für das, was er ihr genommen hatte. »Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht einfach nur eifersüchtig gewesen seid, weil ich Amon liebe, während … während …«
Byrne starrte sie unverdrossen weiter an und wartete – bis ihre Stimme verklang. Nein. Sie konnte diesen Weg nicht gehen. Sie würde ihn nicht gehen.
»Die Bindung schützt das
Weitere Kostenlose Bücher