Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
stellte seine Satteltaschen vor Raisa. »Was ich noch an Essen habe, ist da drin. Wir sollten lieber etwas zu uns nehmen und ein wenig schlafen, damit wir weiterreiten können, sobald sich der Sturm gelegt hat.«
Er stand auf, nahm den Topf mit dem Wasser und duckte sich unter den Zweigen und Ästen hindurch, um den Pferden etwas zu trinken zu bringen.
Als er zurückkehrte, hatte Raisa seine Satteltaschen durchsucht, einen Laib Brot und ein Stück Käse zutage gefördert und beides auf ein Stück Stoff gelegt. Byrne teilte den Käse mit dem Gürteldolch und reichte ihr die eine Hälfte, dann schnitt er dicke Scheiben vom Brot ab. Als sie alles aufgegessen hatten, schlug er mit der Messerklinge gedankenvoll gegen seine Handfläche.
»Habt Ihr einen Dolch, Eure Hoheit?«
Raisa nickte. »Grundsätzlich ja, aber meinen habe ich in Odenford beim Kampf gegen den Attentäter verloren.«
»Dann nehmt diesen hier.« Er wischte die Klinge an seiner Hose sauber, schob sie in die Scheide an seinem Gürtel und nahm ihn ab. Dann reichte er ihr alles. Raisa zog den Dolch heraus und drehte ihn, sodass sich das Licht darauf spiegelte. Er war genauso gearbeitet wie das Schwert und trug das Bild von Hanalea im Griff.
»Ich kann ihn nicht annehmen«, wandte sie ein. »Er gehört Eurer Familie.«
»Ich habe genau genommen nicht viel Verwendung für ihn«, erwiderte Byrne. »Wenn ich einen Feind nah genug an mich herankommen lasse, dass ich einen Dolch gebrauchen könnte, habe ich mein Schicksal verdient.« Er hob die Hand, um jedem weiteren Einwand vorzubeugen. »Tragt ihn zumindest, bis wir Fellsmarch erreichen.« Er gähnte. »Aber solange dieser Sturm nicht weiter nach Süden gezogen ist, werden wir nirgendwo hingehen, also können wir auch genauso gut etwas schlafen.« Er rollte seine Decken vor dem behelfsmäßigen Eingang aus und glitt unter sie.
Raisa kroch in ihre eigene Bettrolle, die dicht neben dem Feuer lag. Sie legte den noch in der Scheide steckenden Dolch neben ihre linke Hand. Der zerbrechliche Schutz der Zweige erzitterte unter dem Ansturm des Hexenwindes, und Schnee fiel von den Zweigen. »Ich bete zum Schöpfer, dass der Sturm weiterzieht«, sagte Raisa schläfrig.
»Seid vorsichtig mit dem, worum Ihr betet, Eure Hoheit«, warnte Byrne. Er hatte sein Gesicht in die andere Richtung gedreht, und so konnte sie seine Miene nicht sehen. »Etwas Wind wäre für uns sehr nützlich, denn er würde den Schnee um uns herum verwehen. Wenn das Wetter sich erst aufklärt, wird es leichter sein, unseren Spuren zu folgen.«
KAPITEL FÜNF
Alte Feinde
E inige Zeit vor der Morgendämmerung begann der Wind nachzulassen. Als ob sie von der Ruhe geweckt worden wäre, erwachte Raisa plötzlich und stellte fest, dass Edon Byrne nicht da war. Sie setzte sich zitternd auf und rieb sich mit den Handballen den Schlaf aus den Augen. Byrnes Decken waren zusammengerollt und verschnürt, und ein Topf mit Tee dampfte über dem neu entfachten Feuer. Das Frühstück aus Brot und Käse lag gleich außerhalb des Feuerrings. Die Botschaft war offensichtlich: Byrne wollte früh aufbrechen.
Raisa stand auf und streckte sich, massierte sich sanft die Hüften und den Rücken. Sie hatte zu wenig Fleisch auf den Rippen, als dass sie die Nächte auf dem Boden als angenehm empfunden hätte. Anschließend nahm sie den Verband von ihrem Nacken und hoffte, dass Byrne nicht darauf bestehen würde, ihn zu erneuern. Sie aß rasch etwas, spülte das trockene Frühstück mit Tee hinunter und begann, wieder ihre Schichten aus Kleidung anzulegen. Ihre Socken und Handschuhe waren jetzt zwar trocken, aber auch steif und unbequem.
Als sie mit dem restlichen Gepäck unter den tief hängenden Zweigen hindurch nach draußen trat, hatte sich das Wetter so überraschend verändert, wie es in den Bergen üblich war. Über den Gipfeln im Westen glitzerten Sterne. Wo die dicht stehenden Kiefern den Wind abhielten, bedeckte eine dicke neue Schneeschicht den Boden, jungfräulich und rein; an einigen Stellen reichte der Schnee sogar höher als Raisas Kopf. An den ungeschützteren Stellen fegte der Wind den Schnee weg, der in die Finsternis davonwirbelte. Obwohl es noch immer dunkel und äußerst kalt war, versprach es ein schöner Tag zu werden.
»Guten Morgen, Eure Hoheit.« Raisa wirbelte herum. Byrne stand mit den Pferden bereit, die beide schon gesattelt waren. Switcher wehrte sich gegen die Gebissstange, hatte die Ohren angelegt und machte nur allzu deutlich, dass
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