Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
es immerhin, rechtzeitig aus dem Weg zu kommen.
War das, was Crow behauptet hatte, wirklich möglich? Dass der berüchtigte Dämonenkönig sich in dem Schlangenstabamulett verborgen hatte, das Han jetzt trug? Dass das mächtige Böse, das er repräsentierte, nie aus der Welt verschwunden war?
Han war sich ein bisschen zu sicher gewesen, um nicht zu sagen selbstgefällig, was die Einschätzung von Risiken betraf – wenn es sich bei dem Risiko um Crow handelte. Seine Theorien waren zwar richtig gewesen – soweit er welche gehabt hatte –, aber nichts, aber auch gar nichts hätte ihn auf so etwas vorbereiten können. Wie sollte er sich jetzt noch mit Crow, dem Dämonenkönig , zusammentun?
Im Vergleich dazu wirkten sogar die übelsten Straßen von Ragmarket geradezu freundlich und einladend und die Gefahren absolut beherrschbar.
Sein ganzes Leben lang kannte Han den Dämonenkönig nur als Schreckgespenst, um unartigen Kindern Angst zu machen. Er war der Knüppel gewesen, der über allen Köpfen geschwebt hatte; die Begründung für ein bestimmtes System von Gesetzen und Grenzen, durch das die Königin, der Magierrat und die Clans in ihrer Macht eingeschränkt wurden.
Alger Waterlow war der Grund, weshalb die Clans die Magier an einer so kurzen Leine hielten; der Grund, warum deren Amulette und Talismane von den Clans kontrolliert wurden. Waterlow war mehr als alle anderen Magier dafür verantwortlich, dass die Kirche von Malthus ein Magieverbot erlassen hatte. Und er war verantwortlich dafür, dass die Sieben Reichen in sieben sich einander bekriegende Teile zerfallen waren.
Alger Waterlow hatte die Welt entzweit.
Und dann war da diese Blutsverbindung. Wie verwässert konnte diese Blutlinie sein, wenn Han eine derart giftige Form von Magie in sich trug? Und was hatte er sonst noch geerbt?
Dämonenverflucht – so hatte seine Mutter ihn bezeichnet. Und jetzt stellte sich heraus, dass sie tatsächlich recht gehabt hatte.
Würde es ein Vorteil oder ein Nachteil sein, wenn Crow wusste, dass sie miteinander verwandt waren? Oder wenn er wusste, dass Han Alister, ein Streetlord und Dieb, sein Nachkomme war? Wenn er begriff, wie tief seine Familie gesunken war?
Aber zu was konnte es schon gut sein, zwischen ihm und Waterlow ein Band zu schmieden, das niemals zerrissen werden konnte? Denn es war eine Sache, verwandt mit einem Dämonenkönig zu sein, der tausend Jahre zuvor gestorben und dessen beflecktes Blut über die Jahrhunderte längst verwässert war. Etwas ganz anderes war es jedoch, wenn dieser Dämonenkönig wieder auferstand und sich in Han’s Leben einmischte.
Andererseits begann Han nun all das zu hinterfragen, was er bisher geglaubt hatte. Und wer war er überhaupt, dass er sich irgendwelche Predigten hielt? Wenn Alger Waterlow und die Bayars Feinde waren, auf wessen Seite stand er dann wohl? Und Lucius – Lucius Frowsley war Waterlows bester Freund gewesen. Lucius hatte an ihn geglaubt. Lucius hatte ihn gegenüber Han verteidigt.
Es war schwer genug gewesen, nach Aediion zurückzukehren. Aber jetzt war Han noch verwirrter als zuvor.
Er erreichte Fetterford am frühen Nachmittag eines ungewöhnlich warmen Frühlingstages. Wie immer klapperte er sämtliche Schenken und Wirtshäuser ab und erkundigte sich nach Rebecca. In einer dieser Schenken, dem Purpurreiher , fand er im Schankraum niemand anderen vor als einen stämmig aussehenden Jungen, der die Tische abwischte.
Der Junge hob den Kopf, als Han eintrat, und musterte ihn wachsam. »Wenn Ihr hungrig seid, können wir Euch ein paar Scheiben Schinken abschneiden und frisch gebackenes Brot anbieten«, sagte er und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß vom Gesicht. »Wenn Ihr allerdings eine warme Mahlzeit haben wollt, müsst Ihr noch warten.«
»Ich suche nach einem Mädchen«, sagte Han.
»Dieses Gewerbe gibt es bei uns nicht«, antwortete der Junge. »Probiert’s im Hundshintern , ein Stück weiter die Straße runter.«
Han schüttelte den Kopf. »Ich suche nach einem bestimmten Mädchen«, sagte er und bedauerte, dass er kein Bild von Rebecca dabeihatte, das er hätte vorzeigen können. »Sie ist klein, hat grüne Augen und dunkle, etwa kinnlange Haare.« Er streckte eine Hand aus und deutete ihre Größe an. »Ein Halbblut. Hübsch.«
Der Kopf des Jungen schoss hoch, und er funkelte ihn an. Seine Wangen verfärbten sich pinkrot. Dann drehte er sich wieder um und schrubbte weiter, als wollte er die Tischoberfläche abschaben. »Kann mich
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