Der Wolfsthron: Roman (German Edition)
und versucht, ihr was zu trinken zu spendieren und so weiter. Aber sie wollte nicht. Sie hat ihn weggeschickt, und dann ist sie in den Stallhof gegangen. Sie hat gesagt, sie will frische Luft schnappen.« Simon atmete jetzt selbst ein paar Mal tief aus und ein. »Das war das Letzte, was ich von ihr gesehen habe. Aber ich weiß, dass sie nicht freiwillig gegangen ist. Sie hat ihre Sachen im Zimmer gelassen, aber ihr Pferd war weg, und diese Typen, die sie belästigt haben, auch.«
»Was waren das für Leute?«, fragte Han. »Amulettschwinger? Soldaten?«
»Weiß nicht«, sagte Simon. »Könnten Soldaten gewesen sein. Heutzutage laufen hier viele Söldner rum, und die meisten haben kein Wappen. Nicht so viele Fluch… Amulettschwinger. Und im Grenzland wimmelt es von Dieben, Mördern und Schlimmerem. Diese Kerle haben Ardenisch gesprochen, aber sie haben mit Münzen aus den Fells bezahlt.«
»Hat sie gesagt, wie sie heißt?«, beharrte Han.
»Brianna. Sie hat gesagt, sie heißt Lady Brianna. Eine Händlerin.« Simon wischte sich über die Nase.
Brianna. Nun, Rebecca hatte allen Grund, nicht ihren richtigen Namen zu benutzen, wenn sie davon ausging, dass die Bayars noch immer hinter ihr her waren.
»Beschreib sie mir doch mal«, forderte Han.
»In ihr war das Blut der Kupferköpfe«, sagte Simon. »Aber man konnte sehen, dass sie eine Lady war – nicht die Art Frau, die sonst in Schenken isst. Sie war großzügig und freundlich – hatte immer ein gutes Wort für … für jedermann.«
Simon war verliebt – jeder Narr konnte das erkennen. Aber Han wusste, dass da noch mehr war; mit irgendetwas rückte Simon nicht heraus.
»Was noch?«, fragte Han und ließ wieder etwas mehr Macht in Simons Handgelenk tröpfeln. »Was ist passiert? Wieso glaubst du, dass sie tot ist?«
»D-da waren noch zwei andere Damen aus Tamron, die mit ihr reisen wollten. Blaublütige. Sie sind ihr nach draußen gefolgt. Wir haben sie im Hof gefunden – sie sind erstochen und ausgeraubt worden. Ich vermute, dass das die gleichen Kerle waren.«
Han’s Hoffnungen verwandelten sich in Blei. War es möglich, dass Rebecca es ganz allein bis hierher geschafft hatte, nur um dann von ein paar rohen Brutalos ermordet oder entführt zu werden?
»Aber die Leiche von Lady Brianna hast du nicht gefunden?« Han packte den Arm des Jungen wieder fester, ohne dass er es beabsichtigt hatte.
Simon schüttelte den Kopf. Seine Lippen bebten. »N-nein, aber da – da war überall Blut. Und sie wäre doch nicht einfach so weg, oder? Nicht ohne sich zu verabschieden. Oder ihre Sachen zu holen.«
»Wo sind sie jetzt? Ihre Sachen, meine ich.«
Simon presste die Lippen zusammen und ließ den Kopf hängen.
»Sag es mir«, befahl Han. Er verlor allmählich die Geduld.
»Sie sind in meinem Zimmer … aber ich hab sie nicht gestohlen, wenn Ihr das meint«, fügte Simon abwehrend hinzu. »Ich hab sie weggepackt, damit sie in Sicherheit sind. Für den Fall, dass sie zurückkommt.«
Woran er allerdings nicht glaubte. Das konnte Han in seinen Augen lesen.
»Zeig sie mir«, knurrte Han. Er wusste, dass Simon keine Schuld an alldem hatte, aber er konnte sich trotzdem zu keiner Entschuldigung durchringen.
Simon führte Han zu einem winzigen Kämmerchen hinter der Feuerstelle, in dem vielleicht einmal Holz gelagert worden war. Jetzt stand eine Pritsche darin, eine Holztruhe und ein kleiner, traurig wirkender Schrein in der Ecke, der aus Kerzen, Blumen und den Habseligkeiten des verschwundenen Mädchens bestand.
Simon deutete auf den Schrein. »Da. Das sind sie.«
Han kniete sich hin und durchsuchte den Kram. Es war nicht viel – ein paar Kleidungsstücke, die zu groß für Rebecca zu sein schienen, und auch ein paar gewagtere Sachen, als er jemals bei ihr vermutet hätte. Nichts von alldem kam ihm vertraut vor. Allerdings hatte sie ja ihre eigenen Sachen zurücklassen müssen, als sie aus Odenford verschwunden war.
Ihr Pferd war weg, hatte Simon gesagt. Also war sie vielleicht noch am Leben. Immerhin war das der beste Hinweis, den er bisher bekommen hatte. Der einzige . Sofern es sich wirklich um sie handelte.
»Was für ein Pferd hat sie geritten?«, fragte Han.
»Einen Flatland-Hengst«, sagte Simon. »Einen Grauen.«
Einen Hengst. Händler ritten Ponys, grundsätzlich. Schon jemand anderes hatte ein Mädchen gesehen, auf das Rebeccas Beschreibung passte – auf einem grauen Flatland-Hengst. Aber Rebecca hatte in Odenford ein Bergpony gehabt. Eine Stute,
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