Der Wolfsthron: Roman
erstarrte, aber er blickte nicht auf.
»Korporal Byrne, der Regentschaftsrat hält es für dringend erforderlich, dass Ihr ihm noch ein bisschen mehr von Eurer Zeit schenkt«, fuhr der Hohemagier fort. »Setzt Euch bitte wieder.«
KAPITEL ACHTZEHN
Ein Netz aus Lügen
A mon setzte sich wieder. Er bemühte sich, sein Gesicht so ausdruckslos wirken zu lassen wie Neuschnee. Doch unter seiner Uniform hämmerte sein Herz wild. Er sah auf und starrte in die kalten blauen Augen des Hohemagiers.
»So schwer es uns auch fällt, weiter als bis zu den jüngsten Verlusten und Königin Mariannas Beerdigung zu denken, gibt es doch einiges bezüglich der bevorstehenden Krönung zu besprechen«, sagte Lord Bayar.
»Krönung?«, fragte Amon. Er sah Prinzessin Mellony an und richtete seinen Blick dann wieder auf den Hohemagier.
»Wie Ihr so scharfsinnig bemerkt habt, sammeln sich im Süden unsere Feinde«, fuhr Lord Bayar fort. »Habt Ihr die Neuigkeit schon gehört? Tamron Court ist an Gerard Montaigne gefallen.«
Amon schüttelte den Kopf. »Nein!«, rief er und gab sich überrascht und bestürzt. »Davon hatte ich noch nichts gehört.«
»Wir können es uns nicht leisten, den Thron längere Zeit unbesetzt zu lassen«, sagte Bayar. »Das wäre ein Machtvakuum, das unsere Feinde nur allzu gern füllen würden. Montaigne könnte auf die Idee kommen, dass es leichter ist, die Fells zu erobern, statt weiter gegen seine Brüder zu kämpfen.«
»Dies ist in der Tat möglich«, gab Amon aufrichtig zu.
»Angesichts der andauernden Abwesenheit der Erbprinzessin hat Königin Marianna eine schwierige Entscheidung getroffen«, erzählte Lord Bayar. »Sie hat die Nachfolgeregelung in Anbetracht der Tatsache, dass Prinzessin Raisa möglicherweise nie mehr nach Hause zurückkehren wird, leicht verändert. Sie hat Prinzessin Mellony zu ihrer Nachfolgerin für den Fall bestimmt, dass … dass der Thron unbesetzt sein sollte und Prinzessin Raisa nicht ausfindig gemacht werden kann«, beendete er den Satz vorsichtig. Er schüttelte den Kopf. »Niemand von uns konnte vorhersehen, dass ein solcher Notfallplan je in Kraft treten würde.«
»Es ist immer noch möglich, dass Raisa zurückkehrt«, protestierte Mellony schwach. »Ich möchte nicht, dass irgendjemand denkt, wir wollten sie übergehen.«
»Das ist aber genau das, was die Leute denken werden, Tochter, ganz besonders die Demonai«, betonte Averill. »Deshalb habe ich im Rat dagegengestimmt.«
»Es mag für Prinzessin Mellony schwer sein, es zu akzeptieren«, meldete sich jetzt Lord Hakkam zum ersten Mal zu Wort. »Aber in Anbetracht der gegenwärtigen Krisensituation in Arden und Tamron hat der Regentschaftsrat beschlossen, dass wir die Krönung von Prinzessin Mellony in die Wege leiten müssen, sollte Prinzessin Raisa nicht rechtzeitig zurückkehren, um an Königin Mariannas Gedenkfeier teilzunehmen.«
Am liebsten hätte Amon allen Anwesenden gleichzeitig ins Gesicht gesehen, damit ihm nichts entging. Zuerst sah er Redner Jemson an. Das Gesicht des Redners wirkte glatt und unbekümmert. Er war ein kluger Mann. Er wusste vermutlich ebenso gut wie Amon, welchen Preis es kosten würde, sich zu widersetzen.
Mellony gelang es irgendwie, sowohl schuldbewusst als auch aufgeregt zu wirken. Geistesabwesend streckte sie eine Hand aus und strich Micah über die Haare, als wäre er ein Talisman. Sie hat nie erwartet, Königin zu werden, dachte Amon, aber die Vorstellung gefällt ihr. Und sie weiß insgeheim, dass sie dadurch Micah für sich gewinnen wird.
»Ist es wirklich so dringend?«, fragte Amon schließlich und versuchte, so zu klingen, als wären dies zwar interessante Neuigkeiten, die aber wenig mit ihm zu tun hatten. »Es scheint mir, als hättet Ihr noch etwas Zeit, bevor Montaigne sich neu aufstellt. Die Belagerung von Tamron Court muss ihm einiges abverlangt haben. Und wenn er durch die Berge marschieren will, muss er auf besseres Wetter warten. Soweit ich weiß, hat er keine Erfahrung damit, im Gebirge zu kämpfen.«
»Und doch habt Ihr selbst gerade gesagt, dass Ihr nach Hause zurückgekehrt seid, weil Montaigne eine Gefahr darstellt«, bemerkte Lord Bayar listig und stürzte sich auf Amons Worte wie eine Forelle auf eine Fliege. Ihr könnt nicht beides haben, schien seine Miene auszudrücken. »Ich halte es nicht für weise, Montaigne zu unterschätzen. Seht Euch nur an, was mit den Tomlins passiert ist.«
»Ich verstehe, wieso Ihr nicht wollt, dass der Thron lange
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