Der Wolfsthron: Roman
nackten Füße auf den Boden. Nachdem sie die Decke enger um sich gezogen hatte, platzierte sie sich in dem Sessel gleich neben dem Sofa. Magret zog die Decke noch höher über Raisas Schultern, um sie so weit wie möglich zu verhüllen.
Han stand hinter ihr; seine Hände ruhten rechts und links von ihr auf der Rückenlehne des Sessels. Raisas Haut prickelte angesichts seiner Nähe.
»Ich sollte mich einfach wieder anziehen«, murrte Raisa. »Ich habe noch so viel zu tun.«
»Eure Hoheit, das kommt gar nicht in Frage. Sobald wir die Magier weggeschickt haben, nehme ich Euch für ein langes, heißes Bad mit nach oben«, versprach Magret.
Kurz darauf kehrte Amon mit Micah und Dancer zurück. Micah hatte einen grimmigen, wütenden Zug um die Mundwinkel, und seine Haltung war unnatürlich steif.
Als er durch die Tür kam und sein Blick auf Han fiel, blieb er abrupt stehen. Er sah von der in ihre Decke gewickelten Raisa zu Han, als könnte er seinen eigenen Augen nicht trauen.
»Was hast du hier zu suchen, Alister?«, fragte er. »Ich dachte schon bei der Gedenkfeier, ich sehe nicht richtig – du verkleidet als Prinz. Was hast du mit der Prinzessin zu schaffen?« Er sah Raisa an. »Wisst Ihr, wer das ist? Wisst Ihr, was er getan hat? Er ist ein Mörder, ein Dieb und …«
» Sul ’Bayar!«, fuhr Raisa dazwischen. »Ich dachte, Ihr wärt hier, um Euch nach meinem Befinden zu erkundigen, und nicht, um meinen Leibwächter zu verleumden.«
»Euren Leibwächter?« Micah sah Han von oben bis unten an, dann schüttelte er langsam den Kopf. »Der?«
»Allerdings«, sagte Raisa. Allmählich verlor sie die Geduld. »Gewöhnt Euch daran oder geht wieder.« Süße Lady in Ketten, dachte sie, ich bin diese Magier so leid.
Micah schloss die Augen und holte tief Luft, dann atmete er wieder aus und riss sich zusammen.
»Wie Ihr wünscht, Hoheit«, sagte er mit einem Lächeln, das seine Augen nicht ganz erreichte. »Ich habe mich bereits daran gewöhnt.«
Er trat näher und kniete vor Raisa nieder. Als er seinen Kopf hob, schweifte der Blick seiner schwarzen Augen über sie, als wollte er jeden Schnitt, jede Prellung, jede heilende Wunde in sich aufnehmen.
»Raisa«, sagte er. »Geht es Euch wirklich gut?« Er griff nach ihrer Hand, aber sie zog sie weg, außer Reichweite. Han verlagerte hinter ihr sein Gewicht, und Raisa wusste, ohne hinsehen zu müssen, dass er sein Amulett umklammerte. Amon trat dicht an Micah heran; er hielt sein Schwert griffbereit.
»Bleibt einfach da vorn, Micah«, forderte Raisa ihn auf und hob beide Hände, um ihn auf Abstand zu halten. »Ich bin so schon schreckhaft genug. Und ich habe absolut keinen Grund, Euch zu trauen.«
Schmerz flackerte in Micahs Gesicht auf, aber er ließ seine Hände für alle sichtbar auf seinen Knien liegen.
»Natürlich«, sagte er. »Ich musste Euch sehen, musste mit eigenen Augen sehen, dass es Euch gut geht. Ihr seid nicht verletzt? Oder irgendwie verwundet?«
Raisa schüttelte den Kopf. »Nein, ich hatte großes Glück.«
»Ja, das hattet Ihr.« Micah sah Han und Amon beinahe vorwurfsvoll an, ehe er den Blick wieder auf Raisa richtete. »Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich war, als Ihr bei der Begräbnisstätte aufgetaucht seid.«
»Ach ja?« Raisas Stimme klang kühl und gleichgültig. »Ihr wart wirklich erleichtert?«
Micah zog die Brauen zusammen und legte den Kopf leicht schief. »Nun ja, natürlich. Als ich Euch das letzte Mal gesehen habe, befanden wir uns mitten in einer Schlacht.«
»Das stimmt«, sagte Raisa. »In die Ihr mich gebracht habt. Wie konntet Ihr und Fiona entkommen? Und die Manders?«
»Es ist uns gelungen, unsere Amulette zurückzuholen«, sagte Micah. »Danach war es verhältnismäßig leicht, uns zu verbergen.« Er zuckte mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, schien Prinz Gerard mehr daran interessiert, Euch zu finden, Hoheit. Er hat sich nach Westen gewandt, nach Tamron Court, während wir nach Norden gereist sind. Als ich wieder zu Hause war und festgestellt habe, dass Ihr noch nicht eingetroffen wart, wusste ich nicht, was ich denken sollte.«
»Und habt doch sogleich jemand anderen zum Heiraten gefunden«, ergänzte Raisa. »Ich hatte keine Ahnung, dass Ihr so wild entschlossen seid, Euch niederzulassen.«
»Ich bin ebenso sehr Gefangener meiner Familie und der Politik wie Ihr«, sagte Micah. »Das hat mich nicht daran gehindert, mir Sorgen zu machen, dass Euch etwas passiert sein könnte. Ich habe befürchtet,
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