Die Blutgruft
Da konnte er in die Glotze schauen, Radio hören, sich mit dem Computer beschäftigen oder hin und wieder ein Nickerchen machen, wobei er auch die Meldungen seines Assistenten entgegennahm, der ihm berichtete, dass nichts passiert war.
Trotzdem musste die Streife gefahren werden. Die Leute wollten das. Viele verließen sich darauf. Beide Beamte genossen in den kleinen Orten des Countys ein großes Ansehen.
Kaffee trank Rifkin gern. Nur nicht den aus dem Automaten. Seine Frau kochte einen besseren. Den nahm er dann in einer Warmhaltekanne mit und genoss ihn Schluck für Schluck.
Es gab auch Nächte, in denen er um Mitternacht nach Hause ging und seinem Stellvertreter das Büro überließ. In dieser Nacht würde das nicht so sein. Es lag nicht nur am Vollmond, dessen blassen Kreis Rifkin sah, wenn er den Kopf zur Seite drehte und durch das Fenster schaute.
Der Mond stand in seiner dunklen Umgebung wie ein Auge, das alles beobachtete und unter Kontrolle hielt. Über die Wirkungen des Vollmonds war viel geschrieben worden. Es gab Legenden, Geschichten, zumeist gefüllt mit unheimlichen Vorgängen, doch darüber machte sich Rifkin wenig Gedanken. Er dachte mehr an die wissenschaftliche Seite und dabei an die Kräfte des Mondes, die das vegetative Nervensystem der Menschen beeinflussten.
Der Ärger begann mit einem Anruf von Mrs. Prudomme. Rifkin löste seine Finger von der Kaffeetasse und hob ab. Bevor er überhaupt etwas sagen konnte, hörte er schon die Stimme, die wie immer leicht schrill und hektisch klang.
»Gut, dass Sie im Büro sind, Sheriff.«
Rifkin verzog das Gesicht. Die Anruferin brauchte sich nicht erst vorzustellen. Sie war überall bekannt, und ebenfalls ihre Anrufe. Mindestens dreimal in der Woche klingelte sie durch, um mit irgendwelchen Problemen zu kommen. Sie sah den Ärger immer auf sich zukommen, überall lauerte das Verbrechen. Sie fühlte sich ständig verfolgt und bedroht, bat um Schutz, und wenn Rifkin zu ihr fuhr, gab es meist nur heiße Luft. Dann war kein Mörder oder Vergewaltiger da, da gab es auch keine fremden Wesen von anderen Sternen, die gelandet waren und ihr etwas wollten, da hatte die Normalität ihren Fortgang genommen, denn alles war nur der Einbildung der fast 70-jährigen Frau entsprungen, die einfach vor allem Furcht hatte.
Jetzt wieder. Klar, das musste so sein. Es war Vollmond. In diesen Nächten konnte die Frau nicht schlafen, denn sie war davon überzeugt, dass sich in diesen Zeiten das Böse auf der Welt versammelt hatte und auch sie nicht verschonte. Komisch war nur, dass sie all die Vollmondnächte überlebt hatte, ohne irgendeinen Schaden zu nehmen.
Der Sheriff blieb trotzdem freundlich. Bei dem Alter gab er der Frau immer einen Bonuspunkt.
»Ah, Mrs. Prudomme. Geht es Ihnen gut?«
»Nein, Sheriff, nein. Mir geht es nicht gut.«
»Sind Sie krank?«
»Unsinn.« Ihre Stimme klang jetzt noch schriller. »Dann hätte ich Sie ja kaum anrufen können.«
»Stimmt auch wieder.« Rifkin nahm seine Tasse wieder in die Hand und trank einen Schluck. »Jetzt sagen Sie mir, welche Probleme Sie haben. Beim letzten Mal haben wir nichts entdeckt. Erinnern Sie sich?«
»Hören Sie damit auf, Sheriff. Heute ist alles anders.«
»Wie sieht Ihr Problem aus? Sagen Sie es mir, dann schicke ich Ihnen Jeff Corner vorbei.«
»Nein, nein, nein. Ich will nicht Ihren Assistenten, ich will, dass Sie persönlich vorbeikommen.«
Rifkin seufzte. »Das kann ich nicht. Einer muss hier im Büro bleiben, wenn andere...«
»Sie haben doch eine Rundumleitung, über die Sie zu erreichen sind, auch wenn Sie sich außerhalb ihres Bereichs befinden.«
Er grinste. Sie wusste gut Bescheid. Auf den Kopf gefallen war sie nicht.
»Das schon, aber...«
»Vergessen Sie Ihr Aber, Sheriff. Es ist mir ernst, verdammt ernst sogar.«
Rifkin verdrehte die Augen. »Okay, Mrs. Prudomme. Worum geht es genau? Ich höre Ihnen zu.«
»Ich habe sie gesehen.«
Mehr sagte die Frau nicht. Mit diesem Satz konnte Rifkin wenig anfangen. »Ähm – wen haben Sie gesehen?«
»Jessica Flemming.«
»Ach.«
Er hörte ihr schrilles Lachen. »Mehr sagen Sie nicht dazu?«
»Nun ja, Mrs. Prudomme. Soviel ich weiß, ist Jessica Flemming verschwunden.«
»Ja, da haben Sie Recht. Aber jetzt ist sie wieder da. Sie war hier, in meinem Garten und am Fenster des Hauses. Sie hat in mein Zimmer geglotzt. Genau, geglotzt und nicht geschaut.« Ihre Stimme steigerte sich noch. »Sie sah einfach so hässlich aus. Völlig
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