Der Wolfsthron: Roman
ob sie Han ihre wahre Identität bereits offenbart hatte.
Amons Blick wanderte von ihr zu Han. Als sie ihm eröffnet hatte, dass sie Han Alister die Wahrheit sagen würde, hatte er sie begleiten wollen.
Ich muss mich ihm allein stellen, hatte sie zu ihm gesagt. Es gibt Dinge, vor denen du mich nicht bewahren kannst.
»Er weiß Bescheid«, sagte Raisa und rang die Hände in ihrem Schoß. »Also, für mich ist es in Ordnung, wenn du jetzt kommst, aber … Korporal Byrne möchte mit dir sprechen, erinnerst du dich?«, sagte sie zu Han. »Oder wäre dir ein anderer Zeitpunkt lieber?«
Han machte ein finsteres Gesicht, und sie rechnete schon mit seiner Weigerung. Aber dann seufzte er nur und richtete sich etwas auf. »Es passt jetzt genauso gut wie wann anders«, sagte er.
Offensichtlich zog er es vor, mit Amon zu sprechen, statt sich weiter mit ihr unterhalten zu müssen.
Amon kam jetzt ganz herein und trat an Han’s Pritsche; unruhig verlagerte er sein Gewicht von einem Bein aufs andere. »Geht’s schon besser?«, fragte er.
»Setzt Euch, Korporal Byrne«, sagte Han und blinzelte zu ihm hoch. »Ihr macht mich ganz nervös, wenn Ihr Euch wie ein plattnasiger Brüllaffe über mir aufbaut.« Alle Hinweise auf seinen Schmerz, sein Gefühl, verraten worden zu sein, und seine Verletzlichkeit waren verschwunden – abgelöst von seinem Straßengesicht.
Raisa fragte sich, ob er mit Absicht wieder so redete wie als Streetlord. Um sie zu treffen.
»Nimm diesen Stuhl, Amon«, sagte Raisa rasch und stand auf. Sie zog sich ein paar Schritte zurück. »Ich bestehe darauf.«
Amon setzte sich und legte die Hände auf die Knie. »Ich möchte mich bei dir dafür bedanken, dass du Prinzessin Raisa das Leben gerettet hast«, sagte er.
»Eins will ich klarstellen«, erwiderte Han und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich hab mich nicht aufgemacht, um eine Prinzessin zu retten.«
»Ich weiß«, antwortete Amon. »Und ich entschuldige mich dafür, dass ich dich angelogen habe. Aber wir hatten das Gefühl, dass es nötig ist, um den Schutz Ihrer Hoheit zu gewährleisten.«
»Nun«, sagte Han, »das erklärt eine ganze Menge. Die ganze Zeit über habt Ihr mir leidgetan, weil Ihr mit einer süßen Braut anbandeln wolltet. Und jetzt stellt sich raus, dass das zwischen Euch rein geschäftlich war.«
Der kühle Blick seiner blauen Augen flackerte von Amon zu Raisa; der spöttische Unterton seiner Worte ließ Raisa vermuten, dass er ganz und gar nicht an das glaubte, was er gesagt hatte. Er war klug genug, um zu wissen, dass ihre Beziehung um einiges verworrener war.
»Ja«, antwortete Amon und schluckte schwer. »Rein geschäftlich.« Er hielt den Blick weiterhin auf Han gerichtet; seine Augenbrauen zogen sich zusammen, als würde er über etwas nachdenken. »Da ist etwas an dir, das … das erinnert mich an …« Er sah Raisa an, schüttelte den Kopf und schob den Gedanken beiseite.
»Ich hatte gehofft, dass du mir mehr über den Tod meines Vaters sagen könntest«, sprach Amon dann weiter. »Prin…Ihre Hoheit hat mir bereits erzählt, was sie weiß.«
Han’s spöttische Miene löste sich auf, und sein Gesicht wurde weicher. »Hauptmann Byrne war ein mutiger Mann«, sagte er. »Und gerecht. Mein Vater war auch Soldat. Ich erinnere mich nicht sehr gut an ihn, aber ich stelle mir gern vor, dass er so war wie Euer Dad.« Er machte eine Pause, als würde er seine Gedanken sammeln. »Ich weiß nicht, ob ich Euch viel helfen kann. Hauptmann Byrne war bereits tot, als ich ihn fand, und seine Mörder waren weitergezogen, um … nun ja, sie waren weg. Aber ich hab etwas für Euch.«
Er richtete einen genervten Blick auf Raisa, als würde es ihn stören, mit ihr sprechen zu müssen. »Weißt du, was mit meinen Sachen passiert ist?«
»Sie sind hier«, antwortete Raisa. Dankbar dafür, dass sie etwas tun konnte, ging sie zur Außenwand. Sie kniete sich neben Han’s Sachen und suchte nach dem Lederbündel, dann erhob sie sich wieder. »Meinst du das hier?«
Han nickte. »Da müsste auch ein Ring sein«, sagte er. »In meiner Börse.«
Raisa reichte ihm sowohl die Börse als auch das Bündel.
Han kramte in der Börse herum und zog den Wolfsring heraus. Er sah Amon an. »Ich hab diese Sachen mitgenommen, weil ich Angst hatte, dass jemand anderes über den Pass kommen und sie stehlen könnte«, erklärte er, als müsste er sich vor dem Vorwurf schützen, dass er Hauptmann Byrnes Leiche ausgeraubt hatte. »Ich hatte gehofft,
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