Der Wolfstrank
Freien – oder?«
»Nein, Mr. Sinclair. In einer Röhre, einem Tunnel.« Smith drehte sich und deutete gegen die lange Stützwand. »Er ist ein Zugang zur Kanalisation, der weit im Innern eine Stauklappe besitzt, die sich nur bei Hochwasser öffnet. Das haben wir zum Glück nicht. Der Tunnel ist ein ideales Versteck.«
»Dann schauen wir uns die Sache mal an«, sagte Suko. »Gehen Sie bis zum Eingang vor.«
»Natürlich, Sir.«
Die beiden Kollegen bewegten sich. Noch jetzt sahen wir, dass sie zitterten. Wir konnten es ihnen nicht verdenken, denn einen gefangenen Wolf zu entdecken, das erlebten sie nicht alle Tage. Dazu noch in einer Großstadt.
Es war nicht das erste Mal, dass ein Wolf entdeckt worden war. Schon seit einer Woche hatte es Zeugenaussagen von Menschen gegeben, denen Wölfe aufgefallen waren. Sie hatten sich in der Dunkelheit den menschlichen Ansiedlungen genähert und waren zunächst mal durch ihr Heulen aufgefallen.
Keine normalen Wölfe, sondern welche, die wesentlich größer waren. Die zudem auf ihren Hinterläufen gingen und dann wieder auf allen Vieren. Ein ständiges Wechselspiel, wie wir glauben mussten. Bisher hatten wir noch nicht eingegriffen. Zunächst waren unsere Kollegen an der Reihe gewesen. Man hatte nachgeforscht, ob irgendwelche Tiere aus einem Zoo entwichen waren, aber das traf nicht zu. Es lag keine Meldung vor, und so wurden wir misstrauisch.
Es hatte noch keine Toten gegeben. Zumindest war kein Mensch von einem Wolf zerrissen worden, aber unser Chef, Sir James überlegte, ob es tatsächlich normale Wölfe gewesen waren, die die Zeugen entdeckt hatten, oder ob nicht doch mehr dahinter steckte.
Und dieses »mehr« konnte eigentlich nur ein Werwolf sein. Werwölfe in London – das hätte uns gerade noch gefehlt, aber noch war es die reine Spekulation. Bisher waren die Kreaturen nur gesehen, aber nicht gefangen worden. Das sollte sich nun ändern.
Wir blieben vor dem Tunnelloch stehen. Ferguson und Smith zitterten noch immer – und zuckten beide zusammen, als uns aus der Röhre das klagende Geheul entgegen wehte.
Suko und ich tauschten einen Blick. Keiner brauchte eine Frage zu stellen, unsere Gedanken drehten sich um einen Punkt. Ich sprach die Worte dann doch aus.
»Werwolf oder nicht?«
Suko lauschte noch einen Moment. Er zuckte mit den Schultern. »Tut mir Leid, John, ich kann es nicht heraushören.«
»Dann lass uns nachschauen.« Ich wandte mich an die beiden Kollegen. »Hat einer von Ihnen eine Taschenlampe?«
Wir bekamen zwei gereicht.
»Danke«, sagte Suko und lächelte. »Es ist am besten, wenn Sie hier Zurückbleiben.«
Zuerst sahen sie aus, als wollten sie protestieren, dann sahen wir bei ihnen die Erleichterung, und wir erklärten ihnen nur, dass sie in der Nähe bleiben sollten.
»Gern, Sir«, flüsterte Smith. »Sehr tief ist der Tunnel auch nicht. Er steigt nur leicht an. Und geben Sie bitte Acht. Auf dem Boden liegt in dieser Rinne viel Geröll herum.«
»Danke für die Warnung.«
Suko hatte sich schon vorgedrängt, war aber noch nicht in die Röhre hineingegangen, die so hoch war, dass sogar ich stehen konnte, wenn auch mit leicht eingezogenem Kopf.
Als Erstes fiel uns der Geruch auf. Es stank modrig. Nach Abwasser, das noch in einigen Pfützen zu beiden Seiten der Betonrinne glänzte. Auch die Wände waren nicht trocken. Da hatte sich die Feuchtigkeit an den Steiner festgeklammert und regelrechte Rinnen gebildet. Ob hier in der Röhre schon Parties stattgefunden hatten oder ob man nur einfach Abfall abgeladen hatte, das konnten wir uns aussuchen.
Wir sahen Flaschen, Dosen, zermatschte Pizzakartons und anderen Abfall, der vor sich hingammelte.
Das Heulen hatte sich bisher nicht wiederholt. Wahrscheinlich wusste das Tier, dass es Besuch bekam, und verhielt sich still. Es war gefangen, und ich stellte mir die Frage, wer diese verdammten Fallen aufstellte, die verboten waren. Fangeisen konnten die ekligsten Tötungsinstrumente sein. Gedacht für Tiere, wurden sie auch manchmal Menschen zum Verhängnis. Nicht wenige hatten durch diese Instrumente schwerste Verletzungen erlebt.
Erst nach zwei Schritten schalteten wir die Lampen ein, deren helle Lichtarme in das Dunkel hineinstießen. Sie tanzten über den Boden, streiften die Wände, von denen der helle Belag im Lauf der langen Jahre abgeblättert war, und folgten der Rinne, durch die wir gingen. Schon bald klebte unter unseren Füßen der dunkle feuchte Dreck, aber das war alles nicht
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