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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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Zwang.
    Sie zeichnete den Sohn der Straßen genau so, wie er gewesen war, ohne Porträtschmeichelei. Als das Bild fertig war, biss sie sich enttäuscht auf die Lippe. Was für eine niederschmetternd kümmerliche Art, ihn zurückzubringen.
    »Beth?«
    Ruckartig blickte Beth auf. Pen hielt die Augen weiter geschlossen. Ihre Stimme war trocken, aber erstaunlich kräftig. »Tust du mir einen Gefallen?«
    »Klar, Pen, was immer du brauchst.«
    »Meine Puderdose ist in meiner Jeans – in der hinteren Tasche. Bringst du sie mir bitte?«
    Beth zog Pens vom Stacheldraht völlig zerfetzte Klamotten aus dem Nachttischfach und tastete nach dem schmalen quadratischen Kästchen. Sie streckte es Pen entgegen.
    »Mach’s auf.« Ihre Stimme blieb ruhig, steril wie die Krankenhausflure. Ihre Augen waren immer noch zu.
    Beth spürte, wie ihr Herz allmählich schneller schlug. Sie schluckte hart. »Pen … glaubst du nicht, du solltest damit noch warten, bis – ?«
    »Mach’s auf«, wiederholte Pen entschlossen. »Ich bin bereit.«
    Als das Döschen sich mit einem leisen Klick öffnete, kamen eine Schale mit Puder und ein kleiner runder Spiegel zum Vorschein.
    »Halt das Ding hoch, damit ich was sehen kann.«
    Stumm hielt Beth ihr den Spiegel hin. Pen öffnete die Augen.
    Kurz schien es Beth, als hätte jemand ihrer besten Freundin ein Messer zwischen die Rippen gestoßen. Sie konnte sehen, wie die Augen sich ein Stück weiteten, wie das Gesicht sich ein wenig verzerrte. Pen zischte und biss die Zähne zusammen, um nicht laut zu fluchen.
    Endlose Sekunden lang wanderte Pens Blick über den Spiegel. Sie hob das Kinn, strich mit den Fingerspitzen die Ränder der Verbände entlang, betastete zaghaft die noch frischen Wunden darunter. Man sah geradezu, wie sie die Linien künftiger Narben nachzeichnete. In ihren Blick, der zuerst ängstlich gewesen war, schlich sich eine seltsame Traurigkeit. Sie sah aus, als würde sie sich verabschieden.
    Dann endlich schloss sie die Augen wieder. Sie sank zurück auf das Bett. »Okay«, sagte sie. Ein sachtes Flüstern. »Okay.«
    Mit zittrigen Fingern ließ Beth die Dose zuschnappen. »Pen«, begann sie. »Es tut mir so schrecklich l–«
    Pens Stimme war wie ein Peitschenknall. »Sag mir ein einziges Mal, dass es dir leidtut, Elizabeth Bradley, und ich bring dich um.«
    Beth blinzelte verwirrt. »Ich hab doch nie gewollt – «
    »Ich weiß, dass du’s nicht gewollt hast, B, aber diese Wunden sind meine . Nicht deine, nicht unsre, meine , kapierst du das?« Abermals schlug Pen die Augen auf, und in ihrem Blick lag eine Mischung aus Schmerz und dem grimmigen Stolz eines Überlebenskünstlers.
    »Sie gehören mir. Diese Stacheln haben mich aufgeschlitzt. Du warst nicht dabei und du wirst niemals verstehen, wie sich das angefühlt hat, also versuch’s erst gar nicht, okay?«
    Beth verzog ihren Mund und nickte, glühend vor Scham über die Zurechtweisung.
    »Es sind meine Narben«, sagte Pen und klang jetzt ein wenig sanfter. »Ich werd damit klarkommen.«
    Im selben Moment, als Beth aufstand, stieg ihr der kräftige Duft von Lammcurry und Gewürzen in die Nase.
    » Du . Weg von meiner Tochter.« Ein kleiner, knochiger Mann mit teakfarbener Haut riss die Vorhänge um Pens Bett auseinander, dicht gefolgt von einer winzigen Frau mit Kopftuch und Schleier, die sich an eine Frischhaltebox klammerte.
    Hastig wich Beth ihnen aus. »Mr und Mrs Khan.«
    Pens Eltern rannten einander beinahe über den Haufen, so eilig hatten sie es, ans Krankenbett ihrer Tochter zu kommen. Pens Mutter fiel vor Erleichterung fast in Ohnmacht. Ihr Vater küsste ihre Stirn, streichelte ihr übers Haar und murmelte irgendetwas auf Urdu, das gut und gern ein Gebet sein mochte.
    »Alles in Ordnung, Kind.« Mr Khan sprach jetzt Englisch. Er hielt seine Stimme unter Kontrolle, doch mit jeder Sekunde, in der er Pens Verletzungen musterte, alterte sein mageres Gesicht. »Wir kriegen das wieder hin.«
    Pens Mutter sagte kein Wort, umarmte nur stumm ihre Tochter und weinte die Tränen, von denen Beth fand, dass eigentlich Pen sie vergießen sollte.
    Pen, die bloß an die Wand starrte.
    »Ich kenne ein paar plastische Chirurgen. Wir – wir haben Geld. Wir bringen dich zurück nach – «
    »Schhh.« Zu Beths Erstaunen brachte Pen ihren Vater zum Schweigen. Dann strich sie weiter mit zarten Fingern über den Hidschab ihrer Mutter und murmelte: »Ist schon gut, Mum. Mir geht’s gut. Ich bin am Leben.« Der triumphierende Glanz in ihren

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