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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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durch den Tunnel davongehen und ihn hier zurücklassen, gelähmt, in der Dunkelheit. Sie wollte ihn im Stich lassen, so wie er sie gerade im Stich ließ. Doch sie konnte es nicht, weil sie wusste, dass sie sogar noch nach Jahren immer und überall die Leichen ermordeter Gemäuermänner und backsteingeborener Babys sehen würde. Sie konnte es nicht, denn so kindlich Reach auch sein mochte, unschuldig war er nicht. Ihre Familie starb unter seinen Krallen.
    Und sie konnte es nicht, denn obwohl sie ihn hasste, würde sie diesen schmächtigen, hageren Kerl niemals einfach verlassen können.
    Sie drehte sich zu ihm um und setzte die Speerspitze neben das Brustbein zwischen zwei Rippen. Er lächelte aufmunternd. Die Waffe ritzte einen unsymmetrischen rot-schwarzen Stern in seine Haut, als Beth zu zittern begann.
    »Scheiße, Fil … ich – «
    »Schon okay, Beth.« Er hielt ihrem Blick stand. »Jag ich dir genug Todesangst ein, dass du mutig sein kannst?«, fragte er.
    »Ja«, flüsterte sie.
    »Eins«, sagte er. »Zwei … «
    Sie stieß ihm den Speer in die Brust.
    Fil keuchte auf, seine Augen weiteten sich. Beth spürte ein Knirschen, als seine Rippen nachgaben. Mit zusammengebissenen Zähnen drehte sie den Schaft. Einen furchtbaren Moment lang trommelten seine nackten Fersen auf den Boden, dann lagen sie still.
    Fünf Sekunden, sie zählte sie sorgfältig. So lange schaute sie ihm in die blicklosen Augen. Dann knurrte sie: »Ich werd deine Augen nicht für dich schließen, Lügner . Du sollst sehen, was du mich hast tun lassen.« Sie ging in die Knie und hob ihn auf. Er hing schlaff über ihrer intakten Schulter, unendlich viel schwerer im Tod. Sie duckte sich unter dem Türsturz hindurch und rannte los.

Kapitel 52
    Der Lärm traf Beth wie eine Explosion, als sie aus dem Labyrinth stürmte. Sie duckte sich erst nach rechts, dann nach links, wich stählernen Kiefern und gefallenen Leibern aus. Ein Steinschwert entglitt der Hand eines Priesters und schwirrte haarscharf an ihrem Knie vorbei. Durch die Beine eines Metallriesen schlängelte sie sich tief in das Herz der Schlacht.
    »Reach delenda est« , krächzte ein versprengter Chor. Aus der Schar der Bordsteinpriester war inzwischen ein erbärmliches Häuflein geworden, doch noch immer rissen sie mit ihren steinernen Händen den Boden auf. Beth ignorierte ihre vor Entsetzen erstarrten Blicke, als sie den schlaffen Körper ihres Prinzen in ihre Mitte warf. Es blieb keine Zeit – nicht für Trauer, nicht für Angst, nicht für irgendwas, das einer menschlichen Emotion ähnlich war, denn sonst wäre all das hier vergeblich gewesen.
    »Hier ist er!«, schrie sie in den tosenden Lärm. »Hier ist euer Preis!«
    Verzweifelt blickte sie sich um, doch sie sah nichts außer Leichen und wildem Gemetzel. Hoffnungslosigkeit schnitt ihr tief in die Brust –
    – dann stieg ihr der scharfe Geruch von Benzin in die Nase.
    Sechs schwarze Gestalten schlenderten ohne Eile durch das Chaos der Schlacht. Ihre Bewegungen waren exakt aufeinander abgestimmt; ihre ölgetränkten Anzüge blieben unberührt vom herumfliegenden Dreck.
    »Hier drüben!« Der Schrei zerriss beinahe Beths Stimmbänder. »Hier drüben! Hier findet ihr, was er euch schuldig war.«
    Die Synode trieb stets ihre Schulden ein. Verträge waren heilig.
    Während sie gemessenen Schritts über die Schuttberge auf Beth zukamen, stellten sich ihnen zwei Steinpriester in den Weg, doch sofort dröhnte Petris’ Kommando: »Lasst sie durch.«
    Reach erteilte keinen solchen Befehl. Als diese neuen, mächtigen Eindringlinge über sein vernarbtes Gesicht schritten und inmitten des lärmenden, stinkenden Ansturms auf ihn geradewegs auf seine Kehle zusteuerten, geriet er in Panik. Beth konnte es fühlen. Die ganze Baustelle um sie herum schien sich anzuspannen.
    »Ich werde sein!« , kreischte Reach, und im selben Moment rauschte der Haken eines Krans heran und durchbohrte den schwarz glänzenden Mann ganz rechts.
    Die Mienen der Synode verfinsterten sich. Ihren Gleichschritt behielten sie bei, doch die fünf verbliebenen Männer verteilten sich, um ihre Symmetrie wiederherzustellen. In perfekter Harmonie zog jeder von ihnen ein Feuerzeug hervor, ließ den Deckel aufschnappen und fuhr mit dem Funkenrad über sein Hosenbein.
    Hitze schlug Beth ins Gesicht, als die schwarzen Gestalten in Flammen aufgingen. Sie hielt sich die Hand vor die Augen. Die Synode schritt weiter bedächtig voran, lichterloh brennend wie Guy-Fawkes-Puppen in der

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