Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
Vom Netzwerk:
Poller und riss das fettdichte Papier von ihrem Bacon-Sandwich. Der Duft von Speck und geschmolzener Butter segelte durch die kühle Luft.
    Ein paar Stunden nachdem sie die Abrissfelder verlassen hatten, stellte Beth fest, dass sie sich kaum mehr daran erinnern konnte, wie es sich angefühlt hatte, dort zu sein. Im Grunde fühlte sie überhaupt nicht mehr allzu viel. Es war, als ob ihr Empfindungsvermögen nach einem Kurzschluss schlicht nicht mehr funktionierte und sie nur gerade so eben noch ihren Körper wahrnahm, die Kälte, den Druck des Harns in ihrer Blase, den Schmerz müder Muskeln …
    Beth nahm einen großen Bissen. Plötzlich hatte sie Heißhunger. »Willst du ’n Stück?«, nuschelte sie an dem Brot und dem Speck in ihrem Mund vorbei.
    Fil lehnte grinsend ab. »Brauch ich nicht.«
    Beth schluckte. »Oh, richtig, deine komische Synthese-Sache. Hast du nie Lust, was zu essen? Du weißt schon, bloß weil’s gut schmeckt?«
    »Sicher, ’n ordentliches Stück Asphaltkuchen oder ’ne Handvoll Spritbeeren, wenn ich mal Zeit hab. Aber nicht das da .« Er beäugte Beths Sandwich mit einer Mischung aus Neugier und heftigem Misstrauen. »Apropos Zeit, wie spät ist es?«, fragte er.
    Sie sah auf ihre G-Shock. »Sechs dreiundzwanzig morgens.«
    »Dann haben wir’s nicht eilig; die Typen, die wir besuchen werden, schlafen noch ’ne Weile.«
    In der Straße hinter der Waterloo Station, wo sie saßen, war es immer noch dunkel, doch Büroangestellte in Anzügen hasteten bereits geschäftig hin und her. Die Zeitungskioske waren besetzt, die Schlagzeilen frisch. Autos und Busse zischten über den Asphalt.
    »Ich kapier nicht ganz«, sagte Beth, »wieso du glaubst, dass wir Schwierigkeiten bekommen, die Leute auf unsere Seite zu ziehen. Ich meine, Reach ist offensichtlich gefährlich, also warum stehen die Anhänger deiner Mum nicht schon rund um den Block Schlange, um den Kerl endlich loszuwerden?«
    Fil starrte sie an wie eine preisgekrönte Idiotin. »Du machst Witze, oder? Weil er offensichtlich gefährlich ist. So was wie das hier hat keiner von uns je gemacht. Es ist immer Mater Viae gewesen, die das Heer um sich geschart hat, und sie hat es immer selbst angeführt, ehe Reach stark genug werden konnte, um zu töten.« Sein Blick war grimmig. »Meine Mutter hat uns knietief im Dreck sitzen lassen. War sie da , hatten die Menschen Angst, und deswegen handelten sie. Ist sie weg , haben sie Angst, tun aber so, als wär das alles nicht ihr Problem. Sie ziehen Grenzen: ›Soll Reach doch in der City bleiben‹, sagen sie, ›dann gilt für uns alle leben und leben lassen .‹ Und wenn er diese Grenzen verletzt, gestehen sie ihm einfach neue zu: nördlich vom Fluss, östlich vom Park, so was in der Art.«
    Er pulte sich den Dreck unter den Fingernägeln hervor und schnippte ihn geistesabwesend auf eine in der Nähe sitzende Taube. »Und je länger sie nichts unternehmen, umso stärker wird Reach, und je stärker er wird, umso ängstlicher werden sie , sodass sie noch länger nichts unternehmen. Es ist ein Teufelskreis: dumm, aber genau so läuft’s.«
    Na, das ist ja ’n verdammtes Feuerwerk an Optimismus , dachte Beth. »Aber diese Leute«, beharrte sie, »die von letzter Nacht – die Männer und Frauen in den Wänden. Haben die keine Freunde, Familien?«
    »Klar haben sie die«, seufzte Fil, »aber auf jeden Mann oder jede Frau, die nach Rache für ihren ermordeten Bruder schreien, kommen drei andere, die sich in eine Ecke verkriechen und dich anflehen, ihnen nicht auch noch wehzutun.«
    Er wand sich unter Beths entsetztem Blick. »Guck mich nicht so an«, sagte er. »Ich weiß noch nicht, welchen Weg ich einschlagen werde. Und was immer du selbst glauben magst, ich wette, du weißt es auch nicht.«
    Beth fragte sich, was aus dem jungen Maulhelden geworden war, der einmal verkündet hatte: Ich bin das gefährlichste Wesen auf diesen Straßen. Er streifte sich die Schichten des Draufgängertums mit einer Schnelligkeit ab, die ihr Angst machte.
    Als am Horizont die ersten Sonnenstrahlen hinter den höheren Häusern hervorstachen, streckte Fil sich und schwang sich seinen Speer auf die Schulter. »Na los, hör schon auf mit deiner Mampferei. Wir müssen uns auf den Weg machen.«
    Sie schlängelten sich durch die morgendlichen Menschenmassen. Einige der Passanten musterten den asphalthäutigen Teenager misstrauisch, der mit nacktem Oberkörper durch die Kälte lief, doch es waren nur wenige – schließlich gab es,

Weitere Kostenlose Bücher