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Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Der Wolkenkratzerthron (German Edition)

Titel: Der Wolkenkratzerthron (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Pollock
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dürfen die Kinder mit ansehen, wie ihre besessenen Mütter und Väter sich die eigenen Körper in Fetzen reißen.« Der Zorn färbte seine Wangen basaltschwarz. »Das sind auch Kinder, Beth. Das ist Krieg , und Kinder gibt’s überall.«
    Seine Wut war verbraucht, und er sackte in sich zusammen. »›Mehr tun, als wegzulaufen.‹ Das hast du zu mir gesagt. Ich versuch’s , okay? Wenn du mir also vertraust, wie du sagst, und wenn du an mich glaubst, dann glaub auch an Mater Viae, so wie ich – wie ich’s muss, denn für mich hat das nichts mit Glauben zu tun. Sondern mit Familie .«
    Für einen Augenblick herrschte mit dem Hupen der Autos, dem Rattern der Züge, dem fernen Geschrei genau das, was drüben in der City als Stille galt.
    Beths Herz verkrampfte sich, doch es ging nicht anders, sie musste es sagen. »Ich glaube an sie, Fil, aber ich weiß nicht, ob mir gefällt, was ich glaube.«
    Fil starrte auf den Boden. Sie vermochte nicht zu erkennen, ob er beschämt oder wütend war. Dann stand er auf und ergriff seinen Speer. »Komm schon.«
    Beth stopfte die Kreide in ihren Rucksack. »Wohin gehen wir jetzt?«
    Er war bereits am Ausgang der Gasse, ein Umriss in Pizzashop-Neon. »Dorthin, wo du sehen kannst, was uns bevorsteht.«
    Die Straße war menschenleer. In den Reihenhäusern klafften schwarze Löcher, wo Fenster hätten sein sollen. Hundert Meter hinter ihnen goss der Verkehr Licht und Lärm über die Woolwich Road, doch keins von beiden drang bis in diesen Teil des asphaltierten Wegs. Beth las das Schild: Herringbone Way. Die Straße fühlte sich an, als läge sie in der Verbannung, als hätte London sie längst vergessen.
    Fil stakste vor ihr her. Er hatte sie über eine gefährliche Route geführt, war wie ein nächtlicher Akrobat auf Zehenspitzen über backsteinerne Eisenbahnbrücken geturnt. In seiner Wut war er sogar direkt durch den Schatten eines der Kräne gehuscht, die ihm solche Angst machten.
    Er spielte sich auf; das war offensichtlich. Sie selbst tat es ständig, Herrgott noch mal, also merkte sie es ihm sofort an. Er war wie ein kleines Kind, das sich heimlich zu einem Spukhaus schleicht, während alles an ihm brüllt: Siehst du? Ich hab keine Angst! Ich bin kein verdammter Schisshase, und du kannst nicht beweisen, dass ich doch einer bin!
    Andererseits, wenn er sich aufplusterte, was machte sie dann hier eigentlich, indem sie unbeholfen vom Regenwasser glitschige Fallrohre hochkraxelte, als wäre ihr das Risiko, sich sämtliche Knochen im Leib zu brechen, nicht mal in den Sinn gekommen?
    »He!« Seine Stimme segelte auf sie herab. »Hier oben.« Er hockte in einem scheibenlosen Fensterrahmen im ersten Stock, schwarz vor einem etwas blasseren Schwarz. Einen Wimpernschlag zuvor war er noch auf dem Gehsteig gewesen.
    »Kommst du?«, fragte er. Er deutete spöttisch eine kurze Verbeugung an, machte einen Schritt rückwärts und war verschwunden.
    Beth musste lächeln. »Angeber«, knurrte sie.
    Zwei angeschlagene Ellbogen und zahllose saftige Flüche später landete sie auf der anderen Seite des Fensters. »Scheiße noch mal, Phyllis, wieso kannst du nicht einfach die Tür nehmen? Au!«
    Sie richtete sich langsam auf, sah sich um.
    Das Haus war bloße Fassade. Die Wand zur Straße hin stand noch, aber es war nur ein Schleier aus Backstein, der die Hässlichkeit des dahinterliegenden Abrissgeländes verbarg, auf dem alles dem Erdboden gleichgemacht worden war.
    Ein riesiger korkenzieherartiger Bohrer beherrschte den Ort, ragte gut fünfzehn Meter in die Höhe, und zusammengestürzt neben dem kettengetriebenen Unterbau des Bohrers: rostzerfressen und kolossal …
    … lag ein Kran.
    Eine unangenehme Anspannung stach hinter Beths Rippenbögen, während sie auf ihn zuging. Der Kran strahlte eine Art schlummernde Bedrohung aus, wie eine nicht explodierte Bombe. Fil hockte sich auf einen Betonsockel am anderen Ende des verwüsteten Grundstücks und beobachtete sie aufmerksam.
    »Ich kapier’s nicht«, sagte Beth. Sie legte eine Hand auf das schartige Metall des Krans. »Die Dinger müssen scheißteuer gewesen sein, aber sie sehen aus, als lägen sie hier schon seit Jahrzehnten . Wieso hat der Besitzer sie nicht wieder abgeholt?«
    Fils Stimme hallte von den baufälligen Fassaden wider. »Der Besitzer war sozusagen ein bisschen in Eile. Eine Kreuzzugsarmee, deren einziges Gebot es ist, dir die Eingeweide herauszureißen, hat eben diese Wirkung, verstehst du?«
    »Nicht die Bohne.«
    »Wirst schon

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