Der Wolkenkratzerthron (German Edition)
genau die Art Gedanke, die mich warm halten wird, ganz sicher.«
Beth scharrte mit ihrem Sneaker am Bordstein entlang und grinste über Pens Sarkasmus. »Na, wohn doch ab jetzt einfach bei mir«, bot sie an. »Dann kannst du wenigstens heiraten, wen du willst.«
Pens Lippen wurden schmal, eine gewisse Anspannung schlich sich in ihre Stimme. »Und deine alles in allem mickrigen zwei Beziehungen machen dich noch mal wieso genau zum Weltmeister-Hochzeits-Guru?«
»Immerhin zwei mehr als du«, murmelte Beth, doch Pen ignorierte die Unterbrechung.
»Meine Familie hilft mir dabei, den Richtigen zu finden«, sagte sie. »Es geht um Erfahrung, das ist alles. Sie kennen die Ehe, sie kennen mich, sie – «
»Pen, die wissen ja nicht mal, dass du jetzt hier bist«, unterbrach Beth sie.
Pen wurde rot und wandte den Blick ab.
Plötzlich schämte Beth sich, trat einen Schritt vor und schloss ihre beste Freundin fest in die Arme. »Beachte mich gar nicht, okay?«, murmelte sie leise in Pens Kopftuch. »Ich bin ’ne blöde Kuh, ich weiß. Ich hab doch bloß Angst, dass deine Leute dich an irgend’nen Steuerberater mit beigem Anzug und beiger Unterwäsche und ’ner verkackten beigen Seele verheiraten und dass ich dann die Wände East Londons ganz allein neu dekorieren muss.«
»Das wird nie passieren«, flüsterte Pen zurück, und Beth wusste, dass es stimmte. Pen würde sie niemals im Stich lassen. Sie warf einen Blick über Pens Schulter. Der Himmel wurde allmählich heller. Längs der Straße reihten sich Telefonmasten aneinander, die Kabel wie leicht gestraffte Zügel vor der aufgehenden Sonne. Wenn der Tag anbrach, dieser Tag ebenso wie alle kommenden, wusste Beth, dass er für sie beide anbrechen würde, sie beide Seite and Seite.
»Bist du okay?«, fragte sie.
Pen stieß ein zerbrechliches Lachen aus. »Japp. Bloß – diese Sache vorhin war echt verdammt haarig, weißt du?«
»Ich weiß«, sagte Beth. »Das war Rückgrat, Hardcore – bin stolz auf dich, Pencil Khan.« Sie verstärkte die Umarmung für einen Augenblick, dann ließ sie los. »Wir werden heut Nacht allerdings nicht viel Schlaf kriegen.« Ihr Nacken war völlig verspannt, und die Augen wollten ihr zufallen, doch sie fühlte sich immer noch unruhig. »Ich kann dich wohl nicht dazu überreden, morgen früh mit mir die ersten Stunden sausen zu lassen?«
Pen knabberte vorsichtig an ihrer Unterlippe, um ihr Lipgloss nicht zu verwischen. »Glaubst du nicht, dass uns das ein kliiitzekleines bisschen verdächtig machen würde?«
Völlig logisch, wenn man drüber nachdachte, gab Beth zu, aber wie immer war es Pen, die darauf kam. Sie war wie ein winziges Tier, das stets genau den richtigen Ort zur Tarnung wählte: mit einem untrüglichen Gespür für alles, was nicht ins Bild passte.
»Wie wär’s, wenn wir den Rest der Nacht einfach mit Taggen verbringen?«, konterte Beth. »Wir machen durch – ich fühl mich ganz gut in Form.«
Pen hatte ihrer Mutter erzählt, sie würde heute bei Beth übernachten. Beth hatte es wie immer nicht nötig gehabt, mit irgendwem irgendwas abzusprechen. Hier draußen in den Straßen konnte man leicht vergessen, dass sie woanders hingehörte.
Pen schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit, während sie ihre Kapuzenjacke öffnete und ihre Spraydose herauszog. »Klar«, sagte sie. »Ich glaub, heute Nacht hab ich’s echt drauf.«
Sie liefen nach Westen in Richtung Stadtzentrum, vor der Morgendämmerung her, jagten zwischen Reklametafeln mit zerfledderten Plakaten und verrammelten Schaufenstern hindurch.
Beth kauerte sich neben einen Haufen Betonbruch am Rand einer Straßenbaustelle und sprühte ein paar schwarze Linien. Für die meisten Leute würde das Ganze wie Teerspritzer oder ein Schatten aussehen; man musste genau an der richtigen Stelle stehen, um das Nashorn zu erkennen, das, gebildet allein durch ein bisschen Farbe und die Kontur der Bruchstücke, auf einen zustürmte. Beth lächelte in sich hinein. Die Stadt ist ein gefährlicher Ort, wenn man nicht aufpasst.
Derartige Ausgeburten ihrer Fantasie hatte sie überall in London hinterlassen, doch niemand wusste, wo. Niemand, abgesehen vielleicht von Pen.
Sie blickte hinüber zu dem größeren Mädchen. Wenn die beiden Geheimnisse austauschten, lief die Sache nicht nach Art einer Geiselübergabe ab, wie Beth es manchmal bei anderen Mädchen sah. Pen nahm aufrichtig Anteil, und das bedeutete, dass auch Beth das Risiko eingehen durfte, Anteil zu nehmen. Pen
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