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Der Wüstendoktor

Der Wüstendoktor

Titel: Der Wüstendoktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Gnädige Frau, Ihre Venen sind in Ordnung. Aber Sie haben einen Muskelkater, weiter nichts. Haben Sie gestern abend ungewöhnlich lange und temperamentvoll getanzt?«
    »Ich bin immer temperamentvoll, Doktor!« hatte Frau Freidanck geantwortet. »Aber Muskelkater ist etwas Neues. Sind Sie Ihrer Diagnose ganz sicher?«
    »Ich glaube schon.« Vandura hatte sich sehr verschlossen gegeben, was Frau Freidanck noch mehr reizte, verschrieb ein stinkendes Einreibmittel, das Frau Freidanck nur einmal gebrauchte, küßte ihre Hand und ging. Frau Freidanck rannte ans Fenster und blickte ihm durch die Gardine nach, bis er mit seinem weißen Sportwagen abfuhr.
    »Ein himmlischer Mann!« schwärmte sie später bei ihren Freundinnen. »Augen wie glühende Kohlen. Wenn er einen anblickt … man spürt es von den Haaren bis zu den Zehen. So ein Arzt hat in unserer Gegend gefehlt. Ich werde mir jetzt jeden Monat eine neue Krankheit aussuchen …«
    Von dieser Nacht an war die Praxis Dr. Vandura überfüllt. Er mußte einen genauen Zeitplan machen, gab kleine rosa Kärtchen mit Nummern aus und gab seinen sich wie junge Mädchen gebärdenden Patientinnen zu verstehen, daß er nur in Notfällen nachts in die Häuser käme. Ein unnötiger Anruf, und er lehne fürderhin die Behandlung ab.
    Die Damen gehorchten ohne Widerrede. Nach einem Jahr gehörte es zum guten Ton, bei Dr. Vandura nackt auf dem Untersuchungstisch gelegen zu haben. Aber nicht nur sein verteufelt männliches Äußere füllte seine Praxis. Es waren auch seine Diagnosen. Sie trafen die Krankheit mit unheimlicher Sicherheit. Meistens aber – vor allem bei seinen ›alten‹ Patientinnen – verzichtete er auf eine Untersuchung, setzte sich ihnen nur gegenüber, stützte die Hände auf die Knie, blickte ihnen mit seinen tiefbraunen Augen bis tief in die Seele und sagte: »Nun erzählen Sie, gnädige Frau. Werfen Sie mir alles hin, was Sie auf dem Herzen haben.«
    Er wurde der Beichtvater der High-Society, der Seelenfreund sich unverstanden fühlender Frauen. Ein ›Mülleimer der Seele‹, wie er einmal selbst von sich sagte. Sein Name wurde ein Begriff in Münchens feiner Gesellschaft. Zu Dr. Vandura ging man, um sich innerlich abzubrausen.
    Woher er gekommen war, wo er vor München gelebt hatte … darüber liefen viele Gerüchte. Eines lautete, er sei Chefarzt einer großen Klinik im Rheinland gewesen und habe diesen Posten verlassen müssen, weil alle Schwestern, sogar die 65jährige Oberschwester, in ihn verliebt waren und es stündlich unter dem Personal zu Eifersüchteleien und Streit kam. Darunter litt der gesamte Klinikbetrieb, und Vandura ging freiwillig in die ›Verbannung‹.
    Niemand machte sich die Mühe, dieses Gerücht zu überprüfen – man glaubte es einfach. Es paßte genau zu Dr. Vandura. »Er ist ein Dämon«, schwärmte die Frau des Fabrikanten Seiferth. »Ich habe das Gefühl zu verbrennen, wenn er mich ansieht.« Das war verwunderlich, denn Dr. Vandura behandelte bei ihr zwei entzündete Hämorrhoiden.
    Nach zwei Jahren baute Dr. Vandura an, einen langen flachen Trakt mit großen Fenstern. Ein Labor. Dahinter zwei weißgekachelte Räume mit Boxen. Ställe für zehn Affen.
    In Grünwald schlugen die Wellen hoch. »Ein Forscher!« jubelten die Frauen beim Fünfuhrtee. »Er soll ganz großen Dingen auf der Spur sein. Krebs oder Herzinfarkt … jedenfalls etwas, wo die anderen Ärzte nicht mehr weiterwissen. Ich habe immer gesagt, dieser Vandura ist ein Genie …«
    Was Vandura wirklich erforschte, drang kaum nach draußen, schlug nur nieder in einigen Artikeln der Fachpresse, in der ›Medizinischen Klinik‹, im ›Zentralblatt der Medizin‹ und in ›Der Internist‹. Dort allerdings erzeugten seine Forschungen ungläubiges Staunen, Ablehnung oder sogar Feindschaft. Wo Revolutionäre der Medizin auftreten, Einzelgänger mit neuen Ideen, schließt sich eine Mauer des Schweigens um sie, überrollt sie das Mittelmaß mit Spott und Ironie.
    Vandura erging es nicht anders. Nach fünf Artikeln bildete sich die Front gegen ihn. Drei Professoren, Ordinarien an bekannten Universitäten, kleine Götter der Medizin, zerstampften diesen Phantasten Vandura mit Gegendarstellungen. Man nannte seine Forschungen schlicht: experimentelle Scharlatanerie.
    Vandura hatte es nicht erwartet. Er sprach mit keinem über seine Forschungen, aber er experimentierte weiter. Nur eines drang aus dem Labor in die Öffentlichkeit und rief neue phantastische Vermutungen hervor:

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