Dem Feuer ergeben
Kapitel 1
Die verschiedenen Rot-, Orange- und Gelbtöne der Kerzenflamme zogen die junge Frau in einen faszinierenden Bann. Lilia verlor sich in dem wunderschönen Farbenspiel. Das Feuer ebnete ihr den Weg zu einem gefährlichen Tagtraum.
Lilia stellte sich vor, wie heiße Funken auf ihre Haut übersprangen und eine Spur aus Asche hinterließen. Sie vergaß, dass sie sich in einem großen Ballsaal befand, in dem mehrere Rundtischen standen. Tische, mit langen weißen Tüchern und Kerzenhalter aus echtem Silber, in denen blutrote Kerzen eingefasst waren. Etwas über einhundertfünfzig Gäste, viele Verwandte und enge Freunde, hatten sich an diesem Sonntag hier eingefunden, um in wenigen Minuten Lilia zum Geburtstag zu gratulieren. Alle waren gespannt auf die Rede, die das Geburtstagskind pünktlich um Mitternacht halten würde.
Doch daran dachte Lilia jetzt nicht mehr. Die Aufregung, die ihr viele schlaflose Nächte beschert hatte, war vergessen. Lilia gab sich nun vollkommen ihrem Tagtraum hin. Sanft küsste der Duft nach Karamell und verbranntem Fleisch ihre Sinne. Sie spürte, dass die Freiheit zum Greifen nah war. Erst ein starker Schmerz, der urplötzlich ihre rechte Hand durchfuhr, brachte sie der Realität zurück.
Der Tagtraum war weg, wie eine Seifenblase geplatzt. Nur der ziehende Schmerz blieb ihr unglücklicherweise erhalten. Große Brandblasen hatten sich auf ihrer Handfläche gebildet, die Lilia in ihrer Trance dicht über die Kerzenflamme gehalten hatte.
Beschämt versuchte sie das Missgeschick unter einer blütenweißen Serviette zu verstecken. Lilia drängte sich an den Gästen vorbei, denen der Unfall nicht verborgen geblieben war. Abschätzende Blicke und rümpfende Nasen begleiteten ihren Weg. Sie war froh, als endlich die schwere Tür aus dunklem Kirschenholz hinter ihr zu fiel. Sie nahm die wenigen Schritte zu der Tür, auf der in geschwungenen goldenen Buchstaben das Wort Damen
Bereits seit Jahrhunderten sehnte sie sich danach, einfach nur normal und sterblich zu sein. Das, was in der mystischen Welt als Geschenk galt, war für Lilia nichts weiter, als ein lästiger Zusatz ihres vampirischen Daseins. Im Gegensatz zu ihrer Verwandtschaft hasste sie das Leben. Von dem Zeitpunkt an, als sie die Wahrheit über ihre Herkunft erfahren hatte, verabscheute sie ihre eigene Existenz. Es war nicht das erste Mal, dass solche Todesträume sich in ihr Bewusstsein schlichen, doch nun würde sie dem endlich ein Ende bereiten.
Heute Nacht hatte sie vor, ihre Pläne in die Tat um zu setzen. Heute Nacht wollte Lilia sterben!
Ein triumphierendes Lächeln legte sich über ihre rosigen Lippen. Wie sehr hatte sie dieses Ereignis herbeigesehnt. Wie oft hatte sie schon versucht, sich das Leben zu nehmen? Immer hatte es ihr an Mut gefehlt. Die Tatsache, dass bereits tausend Jahre seit ihrer Geburt verstrichen waren, hatte sie diesen aber endlich finden lassen. Sie wollte nicht noch mehr Zeit auf dieser Welt verbringen.
Die perfekte Symmetrie ihres Geburts- und Todestages ließ sie strahlen. Die Vorfreude summte in ihr, als sie den Blick auf ihre Armbanduhr richtete. Der große Zeiger hatte sein Ziel fast erreicht. In zwei Minuten hatte sie Geburtstag und nun war es Zeit zu gehen. Lilia zog die Tür einen Spalt auf, es war niemand im Foyer zu sehen. Ihre Gäste waren im Ballsaal und warteten darauf, dass Lilia an das Mikrofon trat, welches auf der schmalen Bühne aufgebaut worden war und ihre Rede hielt. Sie schlüpfte durch den Spalt nach draußen, um hier zu verschwinden.
>Hier bist du
Eine junge Frau mit goldblonden kinnlangen Haaren, die sich in kleinen Locken um das herzförmige Gesicht kringelten, kam ihr entgegen. Sie blieb kurz vor Lilia stehen, die nun wie versteinert da stand, und stemmte die Hände in die Hüfte. Camilles dunkelblauen Augen blickten sie vorwurfsvoll an.
Am liebsten hätte Lilia ihre jüngere Schwester einfach ignoriert und wäre weitergegangen. Doch das hätte diese niemals zugelassen.
>Ich habe dich schon überall gesucht. Nun beeil dich. Die Gäste warten schon.
>Alle sind schon auf die Rede gespannt und Mutter flippt völlig aus, weil du sie nicht hast drüber lesen lassen, Camille kicherte, Paps hat wirklich Mühe, sie zu beruhigen.
Obwohl Lilia die Vorstellung gefiel, wie Alexandria, ihren kleinen roten Terminplaner an die Brust drückend, zwischen den Tischreihen beunruhigt auf und ab tigerte, schaffte sie es nicht, sich zu einem Lächeln hinreißen zu lassen. Was
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