Der Wüstendoktor
wir bei jedem so behandelten Patienten das Gefühl haben, ihm eine durchaus nicht notwendige Euthanasie zu verabreichen?« Nach diesem Satz gab es keine Brücke mehr zwischen Dr. Zemmitz und Dr. Vandura – sie hatten sich auch nicht mehr gesehen und gesprochen. Selbst einen Dank schickte Zemmitz nicht hinüber, wenn Vandura einen Patienten in die ›Wald-Klinik‹ überwies. »Er will mich damit nur aufs Kreuz legen«, knirschte Dr. Zemmitz in Verkennung der wirklichen Motive Vanduras. »Lauter infauste Fälle, die er sich vom Hals schafft! Patienten-Spione, weiter nichts! Jeder Sarg ein Jubelschrei! Ein ganz hinterhältiger Kerl!«
Dr. Zemmitz handelte dann immer schnell – er ließ die Patienten weiterreichen an die Universitätskliniken. Dort belasten Todesfälle nicht so sehr die Erfolgsstatistik wie in einer Privatklinik.
»Dr. Vandura ist eine Art Phantast«, sagte Zemmitz vorsichtig. »Seine ärztlichen Qualitäten kann ich nicht beurteilen – aber was er in der Forschung treibt, ist lächerlich. Stellen Sie sich vor: Er will eine Arteriosklerose weginjizieren! Eine Entkalkung sklerotischer Adern und Gefäße mit einer Gassonde! Man friert bei dem Gedanken. Jeder Arzt hat eine höllische Angst, Luft in die Adern zu spritzen, weil daraus sofort eine Luftembolie entsteht … Und dieser Vandura injiziert Gas in die Adern und will damit die Verkalkungen von den Wänden abheben! Das ist gegen jede Schulmedizin! Das ist – gelinde gesagt – Phantasterei! Verstehen Sie mich richtig, Herr Hellersen – ich stehe mit dieser Ansicht nicht allein da. Viele, ja die meisten meiner Kollegen teilen diese Meinung. Die Experimente mit seinen verkalkten Affen – lächerlich, sage ich! Bis jetzt ist der Lehrsatz unerschütterlich: Wer Luft in die Vene spritzt, ist ein Mörder! Ob nun Luft oder Gas – das sind sprachliche Unterschiede, weiter nichts. Die Sklerose ist eine schicksalsbedingte Krankheit. Wem sich im Alter Kalk in den Gefäßen ablagert, der hat Pech … Das klingt resignierend, aber wahr. Übrigens, Ihr hoher Blutdruck, Hellersen, hat die gleiche Ursache.«
»Schönen Dank.« Bruno Hellersen lachte glucksend. »Ihr Bild von diesem Vandura ist plastisch genug. Was raten Sie mir? Soll ich hingehen?«
»Auf jeden Fall. Wenn es wegen Katja ist.«
»Sie sind auch neugierig, was?«
»Ich gebe es zu – ja. Wann hat er Sie zu sich gebeten?«
»Keinen Termin. Ich möchte anrufen.«
»Und wann gehen Sie hin?«
»Morgen vormittag.«
»Darf ich Sie bitten, mich hinterher anzurufen?«
»Aber das ist doch klar.« Bruno Hellersen lachte laut. »Ich will nicht, Doktor, daß Sie vor Erwartung platzen …«
Sie legten gleichzeitig auf. Und jeder hatte den gleichen Gedanken: Was will dieser Vandura?
Noch ahnte keiner, daß sich das Leben aller Beteiligten von diesem Tage an änderte …
Bruno Hellersen mußte zwanzig Minuten warten, bis Dr. Vandura ihn durch seine Sprechstundenhilfe in das Ordinationszimmer führen ließ.
Schon dieses Warten erregte ihn maßlos. Das ist keine Behandlung, sagte er sich und klopfte mit den Fingern auf den Tisch im Wartezimmer. Ich bin um elf bestellt, und elf heißt nicht halb zwölf! Wer eine Zeit nennt, muß sie einhalten, und wenn es Scheiße regnet! In meinem Beruf ist es genauso – ich kann keinen Kunden bestellen und ihn dann warten lassen. Aber es paßt genau zu dem Bild, das Dr. Zemmitz von diesem Vandura gegeben hat. Ein Spinner! Ein kleiner Gernegroß. Napoleon der Regenwürmer …
Hellersen fand diese Metapher köstlich und beruhigte sich etwas. Der Anblick der Sprechstundenhilfe versöhnte ihn fast – er blieb in der Diele stehen und sagte dann fröhlich: »Gehören Sie zur Therapie, Fräulein?«
»Der Herr Doktor erwartet Sie.« Das Mädchen sah verschlossen an Hellersen vorbei, zeigte auf eine Tür und ging nebenan in das kleine Büro. Bruno Hellersen nahm sich vor, sehr zurückhaltend zu sein, klopfte und trat ein.
Dr. Vandura erhob sich hinter seinem Schreibtisch. Hellersen sah sich schnell um. Ein heller, nüchterner Raum. Moderne nordische Möbel, viel polierte Flächen. Sauber, steril fast.
»Da bin ich!« sagte Hellersen. Es klang sofort feindlich. Ein hingeworfener Fehdehandschuh. Damit wir gleich wissen, woran wir sind, dachte er. Außerdem sieht der Kerl aus wie ein balkanischer Operettenoffizier. So etwas habe ich zuletzt in der ›Lustigen Witwe‹ gesehen.
Dr. Vandura zeigte auf den Ledersessel vor seinem Schreibtisch. »Nehmen Sie bitte Platz,
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