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Der Wunschtraummann

Der Wunschtraummann

Titel: Der Wunschtraummann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Potter
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ihn gleich wieder. Sei nicht albern, sage ich mir, er ist seit zwanzig Jahren glücklich mit Lady Blackstock verheiratet, wovor um alles auf der Welt sollte dieser Mann weglaufen? Und dann nehme ich meine Handtasche, winke kurz und gehe zum Aufzug.
    Nach der kuscheligen Wärme des gut geheizten Büros ist es draußen, als beträte man eine Kühlabteilung. Flotten Schrittes marschiere ich los. Selbst mit meinem Daunenmantel ist es zu kalt, um auf den Bus zu warten, und außerdem wohne ich bloß zwanzig Minuten entfernt. Rasch krame ich meinen iPod hervor, entwirre den Kopfhörer und laufe mit Paolo Nutini im Ohr hinunter zum Fluss.
    Zwei Songs später sehe ich die majestätischen Brückenpfeiler der Hammersmith Bridge vor mir aufragen, deren verschnörkelte Goldornamente in den Scheinwerfern der Autos aus dem Dunkel aufleuchten. Eiskalte Windböen wehen vom Fluss herauf und peitschen mir um die halb erfrorenen Ohren, also klappe ich den Mantelkragen hoch, verstecke mein Gesicht im Mohairschal und gehe unverdrossen weiter. Die Themse unter mir ist tintenschwarz, aber überall entlang des Ufers sieht man hell erleuchtete Pubs wie eine funkelnde Lichterkette, und man erkennt Menschen, die aus der bierseligen Wärme nach draußen kommen, um der eisigen Kälte zu trotzen und eine Zigarette zu rauchen.
    Ich schalte den iPod ab. Nun höre ich auch Stimmen und Gelächter, die vom Wind hier heraufgetragen werden, und ich bleibe einen Moment stehen und lehne mich gegen das Geländer. Dann lasse ich den Blick über die Stadt schweifen. Es hat etwas beinahe Märchenhaftes, so über dem Fluss zu stehen und auf London und das Leben hinabzuschauen. Es ist ein Gefühl von Freiheit und Ruhe, selbst wenn hinter mir der Verkehr brummt. Meine Gedanken schweifen ab. Ich verfalle ins Tagträumen. Komme ins Nachdenken.
    Und wie immer denke ich an Seb und mich. Es wird langsam zur schlechten Gewohnheit, immer wieder Szenen und Gespräche im Kopf abzuspielen und mir auszumalen, was passiert wäre, wenn ich dieses oder jenes nicht gesagt oder getan hätte … Es braucht zwei Menschen, eine Beziehung zu beginnen, und zwei, um sie in den Sand zu setzen, aber ich trage trotzdem die Hauptschuld. Ich habe so vieles falsch gemacht. Nichts Großes, nur ganz viele unbedeutende Kleinigkeiten.
    Wie beispielsweise unser dummer Streit übers Heiraten. Der Gedanke an diesen Tag im letzten Sommer versetzt mir einen Stich. Wir waren bei der Hochzeit von Freunden, und was, nachdem ich den Brautstrauß gefangen hatte, als scherzhaftes Geplänkel darüber begann, dass wir nun »als Nächste dran« seien, wurde plötzlich bitterer Ernst, als er erklärte, er persönlich halte nichts von der Ehe. Woraufhin ich mich fürchterlich aufgeregt und das sofort persönlich genommen habe, obwohl wir da gerade mal ein halbes Jahr zusammen waren und ich es gar nicht so eilig hatte, mir einen Ring an den Finger stecken zu lassen. Aber das kommt davon, wenn man als hoffnungsloser Romantiker zu viel Champagner trinkt … Himmel, ich bin so ein Idiot.
    Mein Herz krampft sich zusammen. Wehmütig schaue ich in die samtene Dunkelheit und frage mich, wo er wohl gerade ist. Was er macht. Ob er an mich denkt. Jemanden zu vermissen muss eines der schrecklichsten Gefühle überhaupt sein. Über andere Gefühle wie Wut und Angst und Entsetzen wird viel mehr geredet, fast als seien sie gewichtiger, bloß weil sie so heftig auftreten. Doch sie kommen in einer gewaltigen Woge und ebben dann gleich wieder ab, während man den nagenden Schmerz des Verlustes einfach stoisch ertragen muss. Wie ein störendes Hintergrundgeräusch ist er immer da und verschwindet nie so ganz. Man kann nur versuchen, ihn so gut es geht zu ignorieren, sich abzulenken und zu hoffen, dass die klaffende Lücke, die der andere hinterlassen hat, morgen ein winziges bisschen kleiner sein wird.
    Da erst merke ich plötzlich, dass meine Hände fast erfroren sind, und ich löse sie vorsichtig von dem eiskalten Geländer, um dann meine Eiszapfenfinger in die Taschen zu stopfen, die Brücke zu verlassen und auf einen großen roten viktorianischen Backsteinbau an der Straßenecke zuzusteuern, der in mehrere Eigentumswohnungen aufgeteilt ist. Über dem Eingang steht auf einem Bleiglasfenster Arminta Mansions .
    Von außen betrachtet wirkt das alles sehr herrschaftlich, teuer und nobel, aber die Wirklichkeit hinter der vornehmen Fassade sieht ganz anders aus: Das Gemeinschaftstreppenhaus ist ein bisschen heruntergekommen, und

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