Der Wunschtraummann
dass ich mich in vielerlei Hinsicht sehr glücklich schätzen kann. Okay, ich mag zwar keine tolle Vorzeigekarriere haben, aber immerhin habe ich einen Job. Ich habe ein Dach über dem Kopf (wobei es streng genommen Fionas Dach ist; Fiona ist meine Mitbewohnerin, die Wohnung gehört ihr, und ich bin ihre Untermieterin), und wie meine Mum mir immer wieder gerne vorhält: »Sei froh, wenigstens bist du gesund.«
Schön, aber noch lieber wäre mir, ich wäre gesund und mit einem Typen zusammen, der mich auf Händen trägt.
Ich lasse das Fotoalbum links liegen und wende mich wieder der quälenden Frage neben meinem Profilfoto zu: »Was machst du gerade?« , wobei ich wieder den altbekannten Kloß im Hals habe. Den versuche ich eigentlich zu ignorieren, es gelingt mir aber nicht.
Drei kleine Worte: An Seb denken .
Ehrlich gesagt tue ich eigentlich nichts anderes. Er ist mein erster Gedanke morgens nach dem Aufwachen und der letzte, wenn ich abends ins Bett gehe. Und das seit unserer Trennung vor zwei Monaten. Genauer gesagt, vor zwei Monaten, einer Woche und drei Tagen.
Ja , ich zähle immer noch.
Zwei Monate, eine Woche und drei Tage waren vergangen seit »dem Gespräch«. Nun ja, ich sage zwar Gespräch, aber darunter versteht man ja eigentlich einen verbalen Austausch zwischen zwei Menschen. In diesem speziellen Fall war das Gespräch allerdings eher einseitig, weil Seb mir sagte, dass er mich zwar liebe, es aber nicht die ganz große Liebe sei. Dabei starrte er unbehaglich auf seine Turnschuhe und wich geflissentlich meinem Blick aus, während ich ihm gegenüber auf dem Sofa saß, mit den Tränen kämpfte und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass er mir gerade das Herz brach.
Wir waren ein Jahr zusammen, und ich habe ihn wirklich sehr geliebt. Ich liebte ihn, weil er Amerikaner war und so ganz anders als ich, mit seinen seltsamen Anspielungen auf irgendwelche alten Fernsehserien, von denen ich noch nie was gehört hatte, seiner Schwäche für Soja-Latte und seiner Angewohnheit, die U-Bahn-Stationen falsch auszusprechen. Ich liebte ihn, weil er erfolgreich war und klug und starke, breite Schultern hatte, an die ich mich anlehnen und mich wie ein Löffelchen in »die Kuhle« schmiegen konnte. Ich liebte ihn sogar für sein schreckliches Gitarrengeschrammel – seine etwas eigenwillige Version von »Wonderwall« war sein erklärtes Lieblingsstück –, und es war so süß und einfach entzückend, dass er immer die Hälfte der Akkorde vergaß.
Und dann natürlich der Sex. Bei der Erinnerung daran verspüre ich wieder das altbekannte Ziehen. Das liebte ich ganz besonders an ihm.
Manche Menschen lernen sich erst kennen und verlieben sich dann irgendwann. Zuerst sind sie bloß Freunde. Bei Seb und mir war es wie ein Blitzeinschlag. Er war der Eine . Gleich vom ersten Augenblick an, bei unserer ersten Verabredung, bei der ich so nervös war, dass ich ihm mein Glas Rotwein in den Schoß gekippt habe, wusste ich, es war um mich geschehen. Widerstand war zwecklos. Ich war dabei, mich Hals über Kopf in ihn zu verlieben, und ich konnte nichts dagegen tun.
Wobei ich allerdings noch nicht ahnte, dass mich das bald Kopf und Kragen kosten sollte.
Seit dem »Gespräch, das eigentlich keins war« habe ich nichts mehr von ihm gehört, abgesehen von der einen oder anderen SMS mit »wollte nur mal Hallo sagen« und einer E-Karte mit Weihnachtsgrüßen. Schuld daran bin ganz allein ich selbst. Auch wenn er das so nicht gesagt hat, weiß ich doch sehr wohl, dass ich mir die Trennung selbst zuzuschreiben habe. Es ist meine Schuld, dass es mit uns nicht funktioniert hat, und ich muss immer daran denken, wenn ich alles anders gemacht hätte, wären wir jetzt bestimmt noch zusammen …
Ich merke, wie mir Tränen in die Augen steigen und an meinen Wimpern kitzeln, und blinzle sie schnell fort. Es ist sowieso sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen. In einer Beziehung gibt es keine Probezeit, und man bekommt keine zweite Chance, es richtig zu machen. Das mit Seb und mir ist aus und vorbei, und ich muss endlich über ihn hinwegkommen und nach vorne schauen.
»Wow, das ist ja hier wie in einer Geisterstadt.«
Ich schrecke von meinem Bildschirm hoch und sehe eine hochgewachsene Gestalt mit neongrüner Jacke und Fahrradhelm auf dem Kopf im Foyer stehen. Der Typ greift in die Kuriertasche, deren Riemen er quer über die Brust geschnallt hat, und da heute niemand am Empfang sitzt, kommt er den Gang entlang auf mich zu.
»Wo
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