Der Zauber des weissen Wolfes
Prolog
Der Traum des Grafen Aubec
In welchem wir mehr über den Beginn des Zeitalters der Jungen Königreiche erfahren und über die Rolle, welche die Dunkle Lady Myshella spielte, deren Schicksal sich später mit dem Elrics von Melnibone verbinden sollte...
Aus dem glaslosen Fenster des Steinturms war zu sehen, wie sich der breite Fluß zwischen flachen braunen Ufern durch das gestaffelte Terrain aus sattgrünen Hainen wand, die allmählich in die Masse des eigentlichen Waldes übergingen. Aus diesem Wald erhob sich die Klippe, grau und hellgrün, zu enormer Höhe, das Gestein dunkler werdend, von Flechten bedeckt, um sich schließlich mit den noch massiger wirkenden Fundamentsteinen der Burg zu verbinden. Diese Burg beherrschte die Landschaft in drei Richtungen -sie zog den Blick vom Fluß, von Feld und Wald fort. Ihre Mauern waren hoch und bestanden aus mächtigen Granitquadern, darüber erhoben sich Türme, ein Gewirr von Türmen, so gruppiert, daß sie sich gegenseitig überschatteten.
Staunend fragte sich Aubec von Malador, wie Menschenhände so etwas hatten erschaffen können, wenn nicht mit Zauberei. Düstergeheimnisvoll wirkte die Burg, eine trutzige Aura schien sie zu umgeben, stand sie doch am Rande der Welt.
Eben jetzt warf der düstere Himmel ein seltsames dunkelgelbes Licht gegen die Westflanken der Türme und vertiefte damit die Schatten, in die das Licht nicht drang. Gewaltige Wogen von Blau zerrissen das dahinhuschende Grau, das den Himmel beherrschte, und Gebirge roter Wolken krochen hindurch, vermengten sich und erzeugten in der Verschmelzung weitere, feinere Farbabstufungen. Doch so eindrucksvoll der Himmel auch war, er vermochte den Blick nicht von der Ansammlung mächtiger künstlicher Gipfel abzu- lenken, die die Burg Kaneloon bildeten.
Graf Aubec von Malador wandte sich erst vom Fenster ab, als es draußen völlig Nacht geworden war, als Wald, Klippe und Burg nur noch schattenhafte Verdüsterungen in der alles verschlingenden Dunkelheit waren. Er fuhr sich mit schwerer, knotiger Hand über den nahezu kahlen Schädel und näherte sich nachdenklich dem Strohhaufen, der sein Bett werden sollte.
Das Stroh lag in der Ecke zwischen Stützmauer und Außenwand, und Maladors Laterne sorgte für gutes Licht. Die Luft aber war kalt, als er sich nun ins Stroh legte, die Hand in der Nähe des mächtigen zweihändigen Breitschwerts. Es war seine einzige Waffe und schien für einen Riesen geschaffen zu sein - praktisch war Malador ein Riese -, mit einem breiten Steg und dem schweren, juwelenbesetzten Griff und der fünf Fuß langen Klinge, glatt und breit. Daneben lag Maladors alte, schwere Rüstung, darauf der Helm mit den doch etwas mitgenommen aussehenden schwar- zen Federn, die sich im Luftzug vom Fenster leicht bewegten. Malador schlief ein.
Seine Träume waren wie üblich ziemlich wirr: er sah gewaltige Armeen, die durch flammende Länder vordrangen, flatternde Banner mit den Symbolen von hundert Nationen, ganze Wälder schimmernder Lanzenspitzen, Meere auf und ab wippender Helme, das mutige, wilde Gellen der Kampfhörner, das Trommeln von Hufen und die Lieder, Schreie und Rufe von Soldaten. Es waren Träume aus einer längst vergangenen Zeit, aus seiner Jugend, da er für Königin Eloarde von Klant alle Südlichen Nationen erobert hatte, beinahe bis zum Rand der Welt. Nur Kaneloon, das unmittelbar am Abgrund stand, hatte er nicht erringen können, und das nur deswegen, weil keine Armee ihm dorthin folgen wollte.
So kriegerisch Malador auch aussah, waren ihm die Träume doch überraschend unwillkommen: mehrmals erwachte er in dieser Nacht und schüt- telte den Kopf in dem Bemühen, sich davon zu befreien.
Er hätte viel lieber von Eloarde geträumt, auch wenn sie der Grund für seine Ruhelosigkeit war, doch von ihr sah er nichts in seinem Schlaf: nichts von ihrem weichen schwarzen Haar, welches das bleiche Gesicht umwehte, nichts von den grünen Augen und roten Lippen und ihrer stolzen, herablassenden Art. Eloarde hatte ihm diesen Auftrag erteilt; er war nicht freiwillig losgezogen. Allerdings hatte er keine andere Wahl, denn sie war nicht nur seine Geliebte, sondern auch seine Königin. Der Champion teilte traditionsgemäß ihr Bett - etwas anderes wäre für Graf Aubec völlig undenkbar gewesen. Als Champion von Klant war es seine Pflicht, ihrem Befehl nachzukommen und aus ihrem Palast allein vor die Burg Kaneloon zu ziehen, um sie zu erobern und zu einem Teil ihres Reiches zu machen, damit
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