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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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und gar, wie ihr bezeugt worden sei, denn sie habe heiraten wollen, so gern heiraten und leben, und es sei ihr gelungen, ganz ausgeheilt und genesen sei sie in die Ehe getreten mit ihrem lieben, baumstarken Mann, der seinerseits nie auch nur entfernt an solche Geschichten gedacht habe. Aber so rein und stark er sei, – er habe das Unglück doch nicht verhindern können mit seinem Einfluß. Denn bei dem Kinde, da sei das Schreckliche, das Begrabene und Vergessene wieder zum Vorschein gekommen, und es werde nicht fertig damit, es gehe zugrunde daran, während sie, die Mutter, darüber hinweggekommen und in ein gefestetes Alter getreten sei, – es sterbe, das arme, liebe Ding, die Ärzte gäben keine Hoffnung mehr, und sie allein sei schuld daran mit ihrem Vorleben.
    Die jungen Leute suchten sie zu trösten, machten Worte über die Möglichkeit einer glücklichen Wendung. Aber die Majorin schluchzte nur auf und dankte ihnen jedenfalls nochmals für alles, für die Hortensie und dafür, daß sie das Kind durch ihren Besuch noch ein wenig zerstreut und beglückt. Da läge die Ärmste in ihrer Qual und Einsamkeit, während andere junge {459} Dinger sich ihres Lebens freuten und mit hübschen jungen Herren tanzten, wozu die Krankheit doch keineswegs die Lust ertöte. Sie hätten ihr ein wenig Sonnenschein gebracht, mein Gott, wohl den letzten. Die Hortensie sei wie ein Ballerfolg und das Geplauder mit den beiden stattlichen Kavalieren wie ein netter kleiner Flirt für sie gewesen, das habe sie, Mutter Gerngroß, wohl gesehen.
    Hiervon war Hans Castorp nun peinlich berührt, besonders da die Majorin das Wort »Flirt« obendrein nicht richtig, das heißt nicht englisch, sondern mit deutschem i ausgesprochen hatte, was ihn maßlos irritierte. Auch war er kein stattlicher Kavalier, sondern hatte die kleine Leila aus Protest gegen den herrschenden Egoismus und in medizinisch-geistlicher Meinung besucht. Kurz, er war etwas verstimmt über den letzten Ausgang der Sache, soweit die Auffassung der Majorin in Frage kam, sonst aber sehr belebt und angetan von der Durchführung des Unternehmens. Namentlich zwei Eindrücke: die erdigen Düfte des Blumenladens und die Nässe von Leilas Händchen waren ihm davon in Seele und Sinn zurückgeblieben. Und da ein Anfang gemacht war, verabredete er noch gleichen Tages mit Schwester Alfreda einen Besuch bei ihrem Pflegling Fritz Rotbein, der sich nebst seiner Pflegerin so schrecklich langweilte, obgleich ihm, wenn nicht alle Zeichen trogen, nur noch eine ganz kurze Weile beschieden war.
    Es half dem guten Joachim nichts, er mußte mithalten. Hans Castorps Antrieb und charitativer Unternehmungsgeist war stärker als seines Vetters Abneigung, welche dieser höchstens durch Schweigen und Niederschlagen der Augen geltend machen konnte, da er sie, ohne Mangel an Christentum zu bekunden, nicht zu begründen gewußt hätte. Hans Castorp sah das sehr wohl und zog seinen Nutzen daraus. Er verstand auch genau den militärischen Sinn dieser Unlust. Aber wenn er selbst sich nun doch belebt und beglückt fühlte durch solche {460} Unternehmungen, und wenn sie ihm förderlich schienen? Dann mußte er über Joachims stillen Widerstand eben hinwegschreiten. Er erwog mit ihm, ob man auch dem jungen Fritz Rotbein Blumen schicken oder bringen könne, obgleich dieser Moribundus männlichen Geschlechtes war. Er wünschte sehr, es zu tun; Blumen, fand er, gehörten dazu; der Streich mit der Hortensie, die violett und wohlgeformt gewesen war, hatte ihm ausnehmend gefallen; und so entschied er denn, daß Rotbeins Geschlecht durch seinen finalen Zustand ausgeglichen werde, und daß er, um Blumenspenden entgegenzunehmen, auch nicht Geburtstag zu haben brauche, da Sterbende ohne weiteres und in Permanenz wie Geburtstagskinder zu behandeln seien. So gesonnen, suchte er mit dem Vetter denn wieder die erdig-warme Duftatmosphäre des Blumengeschäftes auf und trat bei Herrn Rotbein mit einem frisch besprengten und duftenden Rosen-, Nelken- und Levkoiengebinde ein, geführt von Alfreda Schildknecht, die die jungen Leute gemeldet hatte.
    Der Schwerkranke, kaum zwanzigjährig und dabei schon etwas kahl und grau auf dem Kopf, wächsern und abgezehrt, mit großen Händen, großer Nase und großen Ohren, zeigte sich zu Tränen dankbar für Zuspruch und Zerstreuung, – wirklich weinte er aus Schwäche etwas, als er die beiden begrüßte und das Bukett entgegennahm, kam dann aber, im Anschluß an dieses, sofort, wenn auch nur

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