Der Zauberberg
wäre sie nicht gekommen, nicht
ganz
leicht vielleicht sogar, aber eher leicht als schwer. Der Pneumothorax, diese noch junge und rasch zu großer Beliebtheit gelangte Errungenschaft der chirurgischen Technik, hatte sich auch in ihrem Falle glänzend bewährt. Der Eingriff war vollkommen gelungen, Frau Zimmermanns Zustand und Befinden machte die erfreulichsten Fortschritte, ihr Mann – denn sie war verheiratet, wenn auch kinderlos – durfte sie in drei bis vier Monaten zurückerwarten. Da machte sie, um sich zu amüsieren, einen Ausflug nach Zürich, – es lag kein anderer Grund vor für diese Reise als der des Amüsements. Sie hatte sich auch amüsiert nach Herzenslust, war aber dabei der Notwendigkeit innegeworden, sich auffüllen zu lassen und hatte mit diesem Geschäft einen dortigen Arzt betraut. Ein netter, komischer junger Mensch, hahaha, hahaha, aber was war geschehen? Er hatte sie überfüllt! Es gab keine andere Bezeichnung dafür, das Wort sagte alles. Er hatte es zu gut mit ihr gemeint, hatte die Sache wohl nicht so recht verstanden, und kurz und gut: in überfülltem Zustande, das heißt unter Herzbeklemmungen und Atemnot – ha! hihihi – war sie hier oben wieder eingetroffen und von Behrens, der mordsmäßig gewettert hatte, {466} sofort ins Bett gesteckt worden. Denn nun sei sie schwerkrank, – nicht hochgradig eigentlich, aber verpfuscht, verpatzt, – hahaha, sein Gesicht, was er denn für ein komisches Gesicht mache? Und sie lachte, indem sie mit dem Finger hineindeutete, so sehr über dies Gesicht, daß nun auch ihre Stirn sich blau zu färben begann. Aber am allerkomischsten, sagte sie, sei Behrens mit seinem Gewetter und seiner Grobheit, – schon im voraus habe sie darüber lachen müssen, als sie gemerkt habe, daß sie überfüllt sei. »Sie schweben in absoluter Lebensgefahr«, habe er sie angeschrien ohne Umschweife und Einkleidung, so ein Bär, hahaha, hihihi, entschuldigen Sie.
Es blieb zweifelhaft, in welchem Sinn sie über des Hofrats Erklärung so perlend lachte, – ob nur ihrer »Grobheit« wegen und weil sie nicht daran glaubte, oder obgleich sie daran glaubte – denn das mußte sie doch wohl tun –, aber die Sache selbst, das heißt die Lebensgefahr, in der sie schwebte, eben nur furchtbar komisch fand. Hans Castorp hatte den Eindruck, daß dies letztere zutreffe, und daß sie wirklich nur aus kindischem Leichtsinn und dem Unverstand ihres Vogelhirns perle, trillere und tiriliere, was er mißbilligte. Trotzdem schickte er ihr Blumen, sah aber auch die lachlustige Frau Zimmermann nicht wieder. Denn nachdem sie noch einige Tage lang unter Sauerstoff gehalten worden, war sie im Arm ihres telegraphisch herbeigerufenen Gatten denn richtig gestorben, – eine Gans in Folio, wie der Hofrat, von dem Hans Castorp es hörte, von sich aus hinzufügte.
Aber schon vorher hatte Hans Castorps teilnehmender Unternehmungsgeist mit Hilfe des Hofrats und des Pflegepersonals weitere Beziehungen zu den Schwerkranken des Hauses angeknüpft, und Joachim mußte mit. Er mußte mit zu dem Sohne von »Tous les deux«, dem zweiten, der noch übrig war, nachdem bei dem anderen nebenan schon längst gestöbert und mit H 2 CO geräuchert worden. Ferner zu dem Knaben Teddy, {467} der kürzlich aus dem »Fridericianum« genannten Erziehungsinstitut, für das sein Fall zu schwer gewesen, heraufgekommen war. Ferner zu dem deutsch-russischen Versicherungsbeamten Anton Karlowitsch Ferge, einem gutmütigen Dulder. Ferner zu der unglückseligen und dabei so gefallsüchtigen Frau von Mallinckrodt, die ebenfalls Blumen bekam wie die Vorgenannten, und die von Hans Castorp in Joachims Gegenwart sogar mehrmals mit Brei gefüttert wurde … Nachgerade gelangten sie in den Ruf von Samaritern und barmherzigen Brüdern. Auch redete Settembrini Hans Castorp eines Tages in diesem Sinne an.
»Sapperlot, Ingenieur, ich höre Auffälliges von Ihrem Wandel. Sie haben sich auf die Mildtätigkeit geworfen? Sie suchen Rechtfertigung durch gute Werke?«
»Nicht der Rede wert, Herr Settembrini. Gar nichts dabei, wovon es lohnte, Aufhebens zu machen. Mein Vetter und ich …«
»Aber lassen Sie doch Ihren Vetter aus dem Spiel! Man hat es mit Ihnen zu tun, wenn Sie beide von sich reden machen, das ist gewiß. Der Leutnant ist eine respektable, aber einfache und geistig unbedrohte Natur, die dem Erzieher wenig Unruhe verursacht. Sie werden mich an seine Führerschaft nicht glauben machen. Der Bedeutendere, aber auch
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