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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Proviant, so Kohlsuppe wie Weißbrot, hatte er im Kasten mit sich geführt, die an den Stationen, beim Pferdewechsel, zum Genusse aufgetaut worden waren, wobei sich das Brot als frisch wie am ersten Tage erwiesen hatte. Und schlimm nur, wenn unterwegs plötzlich Tauwetter eingefallen war: dann war ihm die in Stücken mitgenommene Kohlsuppe ausgelaufen.
    In dieser Weise erzählte Herr Ferge, indem er sich hin und wieder seufzend mit der Bemerkung unterbrach, das sei alles recht schön, aber wenn nur nicht noch einmal der Versuch mit dem Pneumothorax bei ihm gemacht werden müsse. Es war nichts Höheres, was er vorbrachte, aber faktischer Natur und ganz gut zu hören, besonders für Hans Castorp, dem es förderlich schien, vom russischen Reich und seinem Lebensstil zu vernehmen, von Samowaren, Piroggen, Kosaken und hölzernen Kirchen mit so vielen Zwiebelturmköpfen, daß sie Pilzkolonien glichen. Auch von der dortigen Menschenart, ihrer nördlichen und darum in seinen Augen desto abenteuercheren Exotik, ließ er Herrn Ferge erzählen, von dem asiatischen Einschuß ihres Geblütes, den vortretenden Backenknochen, dem finnisch-mongolischen Augensitz, und lauschte mit anthropologischem Anteil, ließ sich auch Russisch vorsprechen, – rasch, verwaschen, wildfremd und knochenlos ging das östliche Idiom unter Herrn Ferges gutmütigem Schnurrbart, aus seinem gutmütig vorstehenden Kehlkopf hervor –, und desto besser (wie einmal die Jugend ist) fand sich Hans Castorp von alldem unterhalten, als es pädagogisch verbotenes Gebiet war, auf dem er sich tummelte.
    {473} Sie sprachen öfters auf eine Viertelstunde bei Anton Karlowitsch Ferge vor. Dazwischen besuchten sie den Knaben Teddy aus dem »Fridericianum«, einen eleganten Vierzehnjährigen, blond und fein, mit Privatpflegerin und in weißseidenem, verschnürtem Pyjama. Er war Waise und reich, wie er selbst erzählte. In Erwartung eines tieferen operativen Eingriffs, der Entfernung wurmstichiger Teile, womit man es probieren wollte, verließ er, wenn er sich besser fühlte, zuweilen auf eine Stunde sein Bett, um sich in seinem hübschen Sportanzug an der unteren Geselligkeit zu beteiligen. Die Damen schäkerten gern mit ihm, und er hörte ihren Gesprächen zu, zum Beispiel denen, die sich mit Rechtsanwalt Einhuf, dem Fräulein in der Reformhose und Fränzchen Oberdank beschäftigten. Dann legte er sich wieder. So lebte der Knabe Teddy elegant in den Tag hinein, indem er durchblicken ließ, daß er vom Leben nichts anderes mehr, als eben immer nur dies, erwarte.
    Aber auf Nummer fünfzig lag Frau von Mallinckrodt, Natalie mit Vornamen, mit schwarzen Augen und goldenen Ringen in den Ohren, kokett, putzsüchtig und dabei ein weiblicher Lazarus und Hiob, von Gott mit jederlei Bresthaftigkeit geschlagen. Ihr Organismus schien mit Giftstoffen überschwemmt, so daß alle möglichen Krankheiten sie abwechselnd und gleichzeitig heimsuchten. Sehr in Mitleidenschaft gezogen war ihr Hautorgan, das zu großen Teilen von einem qualvoll juckenden, da und dort wunden Ekzem überzogen war, auch am Munde, woraus der Einführung des Löffels Schwierigkeiten erwuchsen. Innere Entzündungen, solche des Rippenfells, der Nieren, der Lungen, der Knochenhäute und selbst des Hirns, so daß Bewußtlosigkeit einfiel, lösten einander ab bei Frau von Mallinckrodt, und Herzschwäche, hervorgerufen durch Fieber und Schmerzen, schuf ihr große Ängste, bewirkte zum Beispiel, daß sie beim Schlucken das Essen nicht ordentlich hinunterbrachte: gleich oben in der Speiseröhre {474} blieb es ihr stecken. Kurzum, die Frau war gräßlich daran und außerdem ganz allein in der Welt; denn nachdem sie Mann und Kinder um eines anderen Mannes, das heißt eines halben Knaben, willen verlassen, war sie ihrerseits von ihrem Geliebten verlassen worden, wie die Vettern von ihr selbst erfuhren, und war nun heimatlos, wenn auch nicht ohne Mittel, da der Ehemann sie mit solchen versah. Sie machte ohne unangebrachten Stolz von seiner Anständigkeit oder seiner fortdauernden Verliebtheit Gebrauch, da sie sich selber nicht ernst nahm, sondern einsah, daß sie nur ein ehrloses, sündhaftes Weibchen war, und trug denn auf dieser Basis alle ihre Hiobsplagen mit erstaunlicher Geduld und Zähigkeit, der elementaren Widerstandskraft ihrer Rasse-Weiblichkeit, die über das Elend ihres bräunlichen Körpers triumphierte und noch aus dem weißen Gazeverband, den sie aus irgendeinem schlimmen Grunde um den Kopf tragen mußte, ein

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