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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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diesem Wort, das ebenfalls scheußlich klang, da er es wie »gdieße« sprach, ging er schon weiter, zu Joachim hinüber – es handelte sich um einen Rundgang, einen kurzen Blick nach dem Rechten und um nichts weiter.
    Manchmal freilich auch verweilte Dr. Krokowski sich länger, plauderte, breitschultrig dastehend und immer mannhaft lä {554} chelnd, mit dem Kameraden über dies und jenes, über die Witterung, über Abreisen und Ankünfte, über des Patienten Stimmung, seine gute oder schlechte Laune, seine persönlichen Verhältnisse auch wohl, seine Herkunft und seine Aussichten, bis er »ich gdieße Sie« sagte und weiterging; und Hans Castorp, die Hände zur Abwechslung hinter dem Kopf gefaltet, antwortete ihm, ebenfalls lächelnd, auf all das, – mit dem durchdringenden Gefühle der Scheußlichkeit, gewiß, aber er antwortete ihm. Sie plauderten gedämpft, – obgleich die gläserne Scheidewand die Loggien nicht völlig trennte, konnte Joachim die Unterhaltung nebenan nicht verstehen und machte übrigens auch nicht den leisesten Versuch dazu. Er hörte seinen Vetter sogar vom Liegestuhl aufstehen und mit Dr. Krokowski ins Zimmer gehen, vermutlich um ihm seine Fieberkurve zu zeigen; und dort setzte dann das Gespräch sich wohl noch eine längere Weile fort, der Verzögerung nach zu urteilen, womit der Assistent auf dem inneren Wege bei Joachim eintraf.
    Worüber plauderten die Kameraden? Joachim fragte nicht; aber sollte jemand aus unserer Mitte sich an ihm kein Beispiel nehmen und die Frage aufwerfen, so ist allgemein darauf hinzuweisen, wieviel Stoff und Anlaß zu geistigem Austausch vorhanden ist zwischen Männern und Kameraden, deren Grundanschauungen idealistisches Gepräge tragen, und von denen der eine auf seinem Bildungswege dazu gelangt ist, die Materie als den Sündenfall des Geistes, als eine schlimme Reizwucherung desselben aufzufassen, während der andere, als Arzt, den sekundären Charakter organischer Krankheit zu lehren gewohnt ist. Wie manches, meinen wir, ließ sich da nicht erörtern und austauschen über die Materie als unehrbare Ausartung des Immateriellen, über das Leben als Impudizität der Materie, über die Krankheit als unzüchtige Form des Lebens! Da konnte, unter Anlehnung an laufende Konferenzen, die Rede gehen von der Liebe als krankheitbildender Macht, vom übersinnlichen {555} Wesen des Merkmals, über »alte« und »frische« Stellen, über lösliche Gifte und Liebestränke, über die Durchleuchtung des Unbewußten, den Segen der Seelenzergliederung, die Rückverwandlung des Symptoms – und was wissen
wir
, – von deren Seite dies alles nur Vorschläge und Vermutungen sind, wenn die Frage aufgeworfen wird, was Dr. Krokowski und der junge Hans Castorp miteinander zu plaudern hatten!
    Übrigens plauderten sie nicht mehr, das lag zurück, nur eine Weile, einige Wochen lang war es so gewesen; in letzter Zeit hielt Dr. Krokowski sich bei diesem Patienten wieder nicht länger auf als bei allen anderen, – »Nun, Kamerad?« und »Ich gdieße Sie«, darauf beschränkte sich nun die Visite meistens wieder. Dafür hatte Joachim eine andere Entdeckung gemacht, eben die, die er als Verräterei von seiten Hans Castorps empfand, und gemacht hatte er sie völlig unwillkürlich, ohne in seiner militärischen Arglosigkeit im mindesten auf Späherwegen gegangen zu sein, das darf man glauben. Er war ganz einfach an einem Mittwoch aus der ersten Liegekur abgerufen worden, hinunterbeordert ins Souterrain, um sich vom Bademeister wiegen zu lassen, – und da sah er es also. Er kam die Treppe hinunter, die reinlich linoleumbelegte Treppe mit Aussicht auf die Tür zum Ordinationszimmer, zu dessen beiden Seiten die Durchleuchtungskabinette gelegen waren, links das organische und rechts um die Ecke das um eine Stufe vertiefte psychische, mit Dr. Krokowskis Besuchskarte an der Tür. Auf halber Höhe der Treppe aber blieb Joachim stehen, denn eben verließ Hans Castorp, von der Injektion kommend, das Ordinationszimmer. Mit beiden Händen schloß er die Tür, durch die er rasch getreten war, und wandte sich, ohne um sich zu blicken, nach rechts, gegen die Tür, an der die Karte auf Reißnägeln saß, und die er mit wenigen, lautlos vorwärtswiegenden Schritten erreichte. Er klopfte, neigte sich hin beim Klopfen und hielt das Ohr zu dem pochenden Finger. Und da des {556} Bewohners baritonales »Herein!« mit dem exotisch anschlagenden r-Laut und dem verzerrten Diphthong aus dem Gelasse erschollen

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