Das Wunder von Bajkonur
Darüber gab es keinen Zweifel und jeder stimmte dem zu: Weronika Alexandrowna war eine friedfertige, dicke Frau, geradezu gemütlich war sie, was bei ihrem Beruf eine erstaunliche Ausnahme war: Sie besaß einen Lebensmittelladen.
Oho, wird man fragen, wie kommt dieses Wunder zustande? Man hat ja so seine Erfahrungen mit den lieben Schwestern vom Ernährungssektor, vor allem, wenn sie einen Marktstand haben, und wie ein kaum gebändigtes Raubtier hinter den Auslagetischen hocken. Da ist etwa die Gemüsefrau Ljuba, die ihren Karren von zwei alten, halbblinden Mauleseln ziehen läßt. Wie ein Turm thront sie unter dem Sonnensegel und hält in der Hand einen Reisigbesen – nicht etwa, weil ein unbezwingbarer Reinigungsdrang sie beherrscht, sondern um damit jedem, der ihre Kohl- oder Salatköpfe auf Frische und Festigkeit prüfen will und in die Hand nimmt, flugs auf die Finger zu schlagen und dabei zu brüllen: »Erst sich am Hintern kratzen und dann an mein Gemüse fassen! Nimm die Pfoten weg, du Floh!« Oder da ist die Fischfrau mit dem romantischen Namen Jelisaweta … o Himmel, macht einen Bogen um sie! Schon zweimal hat sie dem Marktpolizisten einen Dorsch um die Ohren geschlagen, weil er behauptete, unter die frischen Fische menge sie perfiderweise auch die Fische von vorgestern! Und kennen Sie die Eierfrau Jelena Wladimirowna? Jedesmal, wenn einer an ihren Stand kommt und höflich sagt: »Ach, was sind das für süße Eierchen! Wie klein! Wie zierlich!« schreit sie mit hochrotem Kopf zurück: »Ich kann meinen Hühnern keine größeren Löcher machen!«
So ist das mit den Genossinnen vom Ernährungssektor … nur Weronika Alexandrowna war, wie gesagt, eine seltene Ausnahme – immer freundlich, immer geduldig … auch wenn sie mit den Zähnen knirschte, sobald zum Beispiel Emilia Petrowna, die Frau des Dachdeckers Saripow, sogar an den Nudeln roch, ob sie nicht muffig waren. Äußerlich ließ sie sich nichts anmerken, die Weronika Alexandrowna, sie stand hinter der Theke ihres Lebensmittelladens und schien mit ihrem Leben zufrieden zu sein.
Das will auch deshalb etwas heißen, weil ihr Mann Rachim Victorowitsch Jakowlew, der aus dem Turkmenischen kam und einen Kopf wie Dschingis-Khan hatte, ausgerechnet Kunstmaler war. Als sich beide vor zweiunddreißig Jahren an der Peripherie von Bajkonur niederließen, wo der Ort in die Steppe übergeht und die Ausläufer des Tschulbar-Salzsees die Landschaft beherrschten; als sie dort ein Haus umbauten und einen Laden einrichteten, da hatte man sie zunächst scheel angesehen. Na, gut, Rachim Victorowitsch war sogar Mitglied der Partei, Weronika war damals ein nettes, kluges, glutäugiges Frauchen mit unübersehbaren Brüsten und einem hin und her schwenkenden Hintern – aber wovon, so fragte man sich überall, lebt ein Kunstmaler? Sitzt da so ein kräftiger Mann herum, schmiert Farben auf Leinwände oder Holzplatten, malt die Felder und Blumen und Hügel und die Pferde und Kühe und die im Getreide fleißig arbeitenden Genossen – und das alles sieht viel schlechter aus, als wenn man es einfach fotografieren würde. Ja, man muß manchmal ein paar Schritte zurücktreten, um überhaupt zu erkennen, was das darstellen soll, und das nennt man Kunst, und es soll sogar gekauft werden. Natürlich von den Großstädtern, die nicht wissen, wie eine Weizenähre aussieht und die glauben, sie sei so konstruiert, wie sie Jakowlew malt! Jeder in Bajkonur hatte Verständnis dafür, daß seine Frau Weronika einen Lebensmittelladen eröffnete, denn von den Bildern konnte ja keiner leben. Und da man Mitleid hatte mit der netten Weronika Alexandrowna, die das Schicksal mit so einem nutzlosen Mann geschlagen hatte, kaufte man gern bei ihr ein, hielt ein Schwätzchen, deponierte bei ihr den allgemeinen Klatsch und betrachtete voll Mitgefühl die an der Wand hängenden Gemälde des Jakowlew. Zum Geburtstag, zu Ostern und zu Weihnachten, das ja jetzt das Fest von Väterchen Frost hieß, kaufte man sogar ein Bild, nur um zu zeigen, daß man auch für diese Art Kultur etwas ausgeben konnte, denn Jakowlew hatte kürzlich einen Kunstpreis gewonnen, natürlich im fernen Swardlowik. Bilder von ihm hingen in der Kunstausstellung von Taschkent. Es war eben eine verrückte Zeit, in der man lebte!
Das alles muß man wissen, um ganz zu begreifen, wie schicksalhaft das Ereignis, von dem hier noch die Rede sein wird, in das friedliche Dasein der Bürger von Bajkonur eingriff. Und man muß auch wissen,
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