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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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daß ich so unruhig geschlafen habe? Vielleicht bin ich dadurch in Unordnung geraten. Nein, ich muß sie geradezu wegwerfen!« sagte er nach einem neuen Versuch. »Jeder Zug ist eine Enttäuschung; es hat keinen Zweck, daß ich es forciere.« Und nachdem er noch einen Augenblick gezögert, warf er die Zigarre den Abhang hinab zwischen das feuchte Nadelholz. »Weißt du, womit es meiner Überzeugung nach zusammenhängt?« fragte er … »Meiner festen Überzeugung nach hängt es mit dieser verdammten Gesichtshitze zusammen, an der ich nun schon wieder seit dem Aufstehen laboriere. Weiß der Teufel, mir ist immer, als wäre ich schamrot im Gesicht … Hast du das auch so gehabt, als du ankamst?«
    »Ja«, sagte Joachim. »Mir war auch zuerst etwas sonderbar. Mach dir nichts draus! Ich habe dir ja gesagt, daß es nicht so leicht ist, sich einzuleben bei uns. Aber du kommst schon wieder in Ordnung. Siehst du, die Bank steht hübsch. Wir wollen uns etwas setzen und dann nach Hause gehen, ich muß in die Liegekur.«
    Der Weg war eben geworden. Er lief nun in der Richtung auf Platz Davos, etwa in Drittelhöhe des Hanges, und gewährte zwischen hohen, schmal gewachsenen und windschiefen Kie {83} fern den Blick auf den Ort, der weißlich in hellerem Lichte lag. Die schlicht gezimmerte Bank, auf der sie sich setzten, lehnte sich an die steile Bergwand. Neben ihnen fiel ein Wasser in offener Holzrinne gurgelnd und plätschernd zu Tal.
    Joachim wollte den Vetter über die Namen der umwölkten Alpenhäupter unterrichten, die das Tal im Süden zu schließen schienen, indem er mit der Spitze seines Bergstockes auf sie wies. Aber Hans Castorp blickte nur flüchtig hin, er saß vornüber gebeugt, zeichnete mit der Zwinge seines städtischen, silberbeschlagenen Stockes Figuren im Sand und verlangte anderes zu wissen.
    »Was ich dich fragen wollte –«, fing er an … »Der Fall in meinem Zimmer war also gerade eingegangen, als ich kam. Sind sonst schon viele Todesfälle vorgekommen, seit du hier oben bist?«
    »Mehrere sicher«, antwortete Joachim. »Aber sie werden diskret behandelt, verstehst du, man erfährt nichts davon oder nur gelegentlich, später, es geht im strengsten Geheimnis vor sich, wenn einer stirbt, aus Rücksicht auf die Patienten und namentlich auch auf die Damen, die sonst leicht Zufälle bekämen. Wenn neben dir jemand stirbt, das merkst du gar nicht. Und der Sarg wird in aller Frühe gebracht, wenn du noch schläfst, und abgeholt wird der Betreffende auch nur zu solchen Zeiten, zum Beispiel während des Essens.«
    »Hm«, sagte Hans Castorp und zeichnete weiter. »Hinter den Kulissen also geht so etwas vor sich.«
    »Ja, so kann man sagen. Aber neulich, es ist nun, warte mal, möglicherweise acht Wochen her –«
    »Dann kannst du nicht neulich sagen«, bemerkte Hans Castorp trocken und wachsam.
    »Wie? Also nicht neulich. Du bist aber genau. Ich habe die Zahl ja nur so geraten. Also vor einiger Zeit, da habe ich doch einmal hinter die Kulissen gesehen, aus reinem Zufall, ich weiß {84} es wie heute. Das war, als sie der kleinen Hujus, einer Katholischen, Barbara Hujus, das Viatikum brachten, das Sterbesakrament, weißt du, die letzte Ölung. Sie war noch auf, als ich hier ankam, und ausgelassen lustig konnte sie sein, so dalberig, recht wie ein Backfisch. Aber dann ging es rapide mit ihr, sie stand nicht mehr auf, drei Zimmer von meinem lag sie, und ihre Eltern kamen, und nun kam denn also der Priester. Er kam, während alles beim Tee war, nachmittags, es war kein Mensch auf den Gängen. Aber stelle dir vor, ich hatte verschlafen, ich war in der Hauptliegekur eingeschlafen und hatte das Gong überhört und mich um eine Viertelstunde verspätet. Da war ich nun im entscheidenden Augenblick nicht, wo alle waren, sondern war hinter die Kulissen geraten, wie du sagst, und wie ich über den Korridor gehe, da kommen sie mir entgegen, in Spitzenhemden und ein Kreuz voran, ein goldenes Kreuz mit Laternen, der eine trug es voran wie den Schellenbaum vor der Janitscharenmusik.«
    »Das ist kein Vergleich«, sagte Hans Castorp nicht ohne Strenge.
    »Es kam mir so vor. Ich wurde unwillkürlich daran erinnert. Aber höre nur weiter. Sie kommen also auf mich zu, marsch, marsch, im Geschwindschritt, zu dritt, wenn ich nicht irre, voran der Mann mit dem Kreuz, darauf der Geistliche, eine Brille auf der Nase, und dann noch ein Junge mit einem Räucherfäßchen. Der Geistliche hielt das Viatikum an der Brust, es war

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