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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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zugedeckt, und er hielt recht demütig den Kopf schief, es ist ja ihr Allerheiligstes.«
    »Eben darum«, sagte Hans Castorp. »Eben aus diesem Grunde wundere ich mich, daß du von Schellenbaum sprechen magst.«
    »Ja, ja. Aber warte nur, wenn du dabei gewesen wärst, wüßtest du auch nicht, was du für ein Gesicht machen solltest in der Erinnerung. Es war, daß man davon träumen könnte –«
    {85} »In welcher Hinsicht?«
    »Folgendermaßen. Ich frage mich also, wie ich mich zu verhalten habe unter diesen Umständen. Einen Hut zum Abnehmen hatte ich nicht auf –«
    »Siehst du wohl!« unterbrach ihn Hans Castorp rasch noch einmal. »Siehst du wohl, daß man einen Hut aufhaben soll! Es ist mir natürlich aufgefallen, daß ihr keinen tragt hier oben. Man soll aber einen aufsetzen, damit man ihn abnehmen kann, bei Gelegenheiten, wo es sich schickt. Aber was denn nun weiter?«
    »Ich stellte mich an die Wand,« sagte Joachim, »in anständiger Haltung, und verbeugte mich etwas, als sie bei mir waren, – es war gerade vor dem Zimmer der kleinen Hujus, Nummer achtundzwanzig. Ich glaube, der Geistliche freute sich, daß ich grüßte; er dankte sehr höflich und nahm seine Kappe ab. Aber zugleich machen sie auch schon halt, und der Ministrantenjunge mit dem Räucherfaß klopft an, und dann klinkt er auf und läßt seinem Chef den Vortritt ins Zimmer. Und nun stelle dir vor und male dir meinen Schrecken aus und meine Empfindungen! In dem Augenblick, wo der Priester den Fuß über die Schwelle setzt, geht da drinnen ein Zetermordio an, ein Gekreisch, du hast nie so etwas gehört, drei, viermal hintereinander, und danach ein Schreien ohne Pause und Absatz, aus weit offenem Munde offenbar, ahhh, es lag ein Jammer darin und ein Entsetzen und Widerspruch, daß es nicht zu beschreiben ist, und so ein greuliches Betteln war es auch zwischendurch, und auf einen Schlag wird es hohl und dumpf, als ob es in die Erde versunken wäre und tief aus dem Keller käme.«
    Hans Castorp hatte sich seinem Vetter heftig zugewandt. »War das die Hujus?« fragte er aufgebracht. »Und wieso: ›aus dem Keller‹?«
    »Sie war unter die Decke gekrochen!« sagte Joachim. »Stelle dir meine Empfindungen vor! Der Geistliche stand dicht an der {86} Schwelle und sagte beruhigende Worte, ich sehe ihn noch, er schob immer den Kopf dabei vor und zog ihn dann wieder zurück. Der Kreuzträger und der Ministrant standen noch zwischen Tür und Angel und konnten nicht eintreten. Und ich konnte zwischen ihnen hindurch ins Zimmer sehen. Es ist ja ein Zimmer wie deins und meins, das Bett steht links von der Tür an der Seitenwand, und am Kopfende standen Leute, die Angehörigen natürlich, die Eltern, und redeten auch beschwichtigend auf das Bett hinunter, man sah nichts als eine formlose Masse darin, die bettelte und grauenhaft protestierte und mit den Beinen strampelte.«
    »Sagst du, daß sie mit den Beinen strampelte?«
    »Aus Leibeskräften! Aber es nützte ihr nichts, das Sterbesakrament mußte sie haben. Der Pfarrer ging auf sie zu, und auch die beiden anderen traten ein, und die Tür wurde zugezogen. Aber vorher sah ich noch: der Kopf von der Hujus kommt für eine Sekunde zum Vorschein, mit wirrem hellblonden Haar, und starrt den Priester mit weitaufgerissenen Augen an, so blassen Augen, ganz ohne Farbe und fährt mit Ah und Huh wieder unters Laken.«
    »Und das erzählst du mir jetzt erst?« sagte Hans Castorp nach einer Pause. »Ich verstehe nicht, daß du nicht schon gestern abend darauf zu sprechen gekommen bist. Aber, mein Gott, sie mußte doch noch eine Menge Kraft haben, so wie sie sich wehrte. Dazu gehören doch Kräfte. Man sollte den Priester nicht holen lassen, bevor einer ganz schwach ist.«
    »Sie war auch schwach«, erwiderte Joachim. »… Ach, zu erzählen gäbe es viel; es ist schwer, die erste Auswahl zu treffen … Schwach war sie schon, es war nur die Angst, die ihr soviel Kräfte gab. Sie ängstigte sich eben fürchterlich, weil sie merkte, daß sie sterben sollte. Sie war ja ein junges Mädchen, da muß man es schließlich entschuldigen. Aber auch Männer führen sich manchmal so auf, was natürlich eine unverzeihliche {87} Schlappheit ist. Behrens weiß übrigens mit ihnen umzugehen, er hat den richtigen Ton in solchen Fällen.«
    »Was für einen Ton?« fragte Hans Castorp mit zusammengezogenen Brauen.
    »›Stellen Sie sich nicht so an!‹ sagt er«, antwortete Joachim. »Wenigstens hat er es neulich zu einem gesagt, –

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