Der Zauberberg
Mannes glatt anliegend: Die menschliche Großartigkeit seines Hauptes auf dem Kissen ward noch gehoben, dem Bürgerlichen entrückt durch diese Tracht, die seiner Erscheinung ein teils volkstümlich-arbeitermäßiges, teils verewigt-büstenartiges Gepräge verlieh.
»Durchaus, junger Mann«, sagte er, indem er den Hornzwicker am hohen Bügel ergriff und ihn abhob. »Ich bitte sehr, – keineswegs. Im Gegenteil.« Und Hans Castorp setzte sich zu ihm und verbarg seine teilnehmende Verwunderung – wenn nicht gar wirkliche Bewunderung das Gefühl war, zu dem seine Gerechtigkeit ihn nötigte – hinter freundlich aufgewecktem Geschwätz, dem Peeperkorn mit großartigen Abgerissenheiten und eindringlichstem Gestenspiel sekundierte. Er sah nicht gut aus, gelb, recht leidend und mitgenommen. Gegen Morgen hatte er einen starken Fieberanfall gehabt, dessen Mattigkeitsfolgen sich nun mit den Nachwehen des Rausches verbanden.
»Wir haben es gestern arg –«, sagte er. »Nein, erlauben Sie, – schlimm und arg! Sie sind noch – gut, da hat es nichts weiter – {872} Allein in meinen Jahren und bei meiner gefährdeten – Mein Kind«, wandte er sich mit zarter, aber entschiedener Strenge an die eben vom Salon her eintretende Frau Chauchat, »– alles gut, aber ich wiederhole Ihnen, daß besser hätte achtgegeben, daß man mich hätte hindern müssen –.« Fast etwas wie aufziehender Königskoller war in seinen Mienen und seiner Stimme bei diesen Worten. Aber man brauchte sich ja nur vorzustellen, was für ein Wetter erst ausgebrochen wäre, wenn man ihn ernstlich im Trinken hätte stören wollen, um die ganze Unbilligkeit und Unvernunft seines Vorwurfs zu ermessen. Dergleichen gehört wohl zur Größe. Seine Reisebegleiterin ging denn auch drüber hin, indem sie Hans Castorp, der sich erhoben hatte, begrüßte, – übrigens ohne ihm die Hand zu reichen, sondern nur mit Lächeln und Winken und der Aufforderung, »doch nur ja« Platz zu behalten, sich »doch nur ja nicht« in seinem tête à tête mit Mynheer Peeperkorn stören zu lassen … Sie machte sich dies und jenes im Zimmer zu schaffen, wies den Kammerdiener an, das Kaffeegeschirr fortzuräumen, verschwand auf eine Weile und kehrte auf leisen Sohlen wieder, um im Stehen sich ein wenig an dem Gespräch zu beteiligen, oder – wenn wir Hans Castorps unbestimmten Eindruck wiedergeben sollen – um es ein wenig zu überwachen. Natürlich! Sie konnte in Verbindung mit einer Persönlichkeit großen Formats wieder nach Haus Berghof zurückkehren; aber wenn derjenige, der hier so lange auf sie gewartet hatte, dann der Persönlichkeit die schuldige Reverenz erwies, von Mann zu Mann, so legte sie Unruhe und selbst Spitzigkeit an den Tag, mit ihrem »doch nur ja« und »nur ja nicht«. Hans Castorp lächelte darüber, indem er sich über seine Knie beugte, um das Lächeln zu verbergen, und erglühte gleichzeitig innerlich vor Freude.
Er bekam ein Glas Wein eingeschenkt von Peeperkorn, aus der Flasche vom Nachttisch. Unter Umständen, wie den heutigen, meinte der Holländer, sei es das beste, da wieder anzu {873} schließen, wo man nachts zuvor aufgehört habe, und dieser Spritzige tue ja dieselben Dienste wie Sodawasser. Er stieß mit Hans Castorp an, und dieser sah trinkend zu, wie die sommersprossig-nagelspitze Kapitänshand dort drüben, von dem Knopfbunde des wollenen Hemdes am Gelenke umspannt, das Glas emporführte, wie die breiten, zerrissenen Lippen seinen Rand erfaßten und der Wein durch die auf- und niedersteigende Arbeiter- oder Büstengurgel trieb. Sie sprachen dann noch über das Medikament auf dem Nachttisch, diesen braunen Saft, von dem Peeperkorn auf Frau Chauchats Mahnung und aus ihrer Hand einen Löffel voll einnahm, – es war ein Antipyretikum, Chinin im wesentlichen; Peeperkorn gab seinem Gast ein wenig davon zu probieren, um ihn den charaktervollen, bitter-würzigen Geschmack des Präparats erfahren zu lassen, und äußerte dann mehreres zum Lobe des Chinins, das segensreich nicht nur durch seine keimzerstörende Wirkung und seinen heilsamen Einfluß auf das Wärmezentrum sei, sondern auch als Tonikum gewürdigt werden müsse: es vermindere den Eiweißumsatz, fördere den Ernährungszustand, kurz, sei ein echter Labetrank, ein herrliches Stärkungs-, Erweckungs- und Belebungsmittel, – ein Rauschmittel übrigens ebenfalls; man könne sich leicht einen kleinen Spitz oder Zopf daran trinken, sagte er, indem er wie gestern mit Fingern und
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