Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
doch« waren überhaupt die leitend-erläuternden Äußerungen gestimmt, mit denen er unter genauen, wenn auch nachgerade etwas burlesk gewordenen Kulturgebärden seine Veranstaltung begleitete. Er hatte eine Art, den Ring, den sein gekrümmter Zeigefinger mit dem Daumen bildete, über das Ohr emporzuhalten und das Haupt schief-scherzhaft davon abzuwenden, die Gefühle erweckte, wie etwa der bejahrte Priester eines fremden Kults sie erregen würde, der mit gerafften Gewändern und wunderlicher Grazie vor dem Opferaltar tanzte. Dann wieder, breit hingelagert in seiner Großartigkeit, den Arm um die benachbarte Stuhllehne geschlungen, zwang er alle zu ihrer Bestürzung, sich mit ihm in die lebendige und durchdringende Vorstellung des Morgens zu vertiefen, eines frostigen, dunklen Wintermorgens, wenn der gelbliche Schein unserer Nachttischlampe sich durch die Fensterscheibe hinausspiegelt zwischen kahles Geäst, das draußen in eisige, krähenschreiharte Nebelfrühe starrt … Andeu {865} tungsweise wußte er diese nüchterne Alltagsanschauung so stark zu machen, daß alle erschauerten, besonders da er auch noch des eiskalten Wassers gedachte, das man sich etwa in solcher Frühe aus einem großen Schwamme über den Nacken drücke, und das er heilig nannte. Das war nur eine Abschweifung, eine beispielhafte Unterweisung in Dingen der Lebensaufmerksamkeit, ein phantastisches Impromptu, das er fallen ließ, um seine dienstliche Eindringlichkeit und Gefühlsgegenwart alsbald der festlich gelösten Nachtstunde wieder zuzuwenden. Er zeigte sich verliebt in all und jede erreichbare Weiblichkeit, wahllos und ohne Ansehen der Person. Er machte der Zwergin Anträge solcher Art, daß das krüppelhafte Wesen sein übergroßes, ältliches Gesicht in grinsende Falten legte, sagte der Stöhr Artigkeiten eines Kalibers, daß die ordinäre Frau ihre Schulter noch ärger vorbog und die Ziererei bis zur völligen Verrücktheit trieb, erbat sich von der Kleefeld einen Kuß auf seinen großen, zerrissenen Mund und scharmierte selbst mit der trostlosen Frau Magnus – dies alles unbeschadet seiner zärtlichen Ergebenheit gegen seine Reisebegleiterin, deren Hand er oft mit galanter Andacht an die Lippen führte. »Der Wein –« sagte er – »Die Frauen – – Das ist – Das ist nun doch – Erlauben Sie mir – Weltuntergang – – Gethsemane – –«
    Gegen zwei Uhr flog die Nachricht auf, »der Alte« – Hofrat Behrens also – nähere sich in Gewaltmärschen den Konversationsräumen. Panik wütete in demselben Augenblick unter der entnervten Gästeschaft. Stühle und Eiskübel stürzten. Man floh durch das Bibliothekszimmer. Peeperkorn, von königlichem Koller ergriffen bei der jähen Auflösung seines Lebensfestes, schlug wohl mit der Faust auf und sandte den Fortstiebenden etwas von »furchtsamen Sklaven« nach, ließ sich aber dann durch Hans Castorp und Frau Chauchat bis zu einem gewissen Grade mit dem Gedanken versöhnen, daß dies Gastmahl, das an sechs Stunden gedauert hatte, ohnehin einmal {866} sein Ende habe nehmen müssen, schenkte auch der Mahnung an das heilige Labsal des Schlafes sein Ohr und willigte ein, sich zu Bette geleiten zu lassen.
    »Stütze mich, mein Kind! Stütze mich andererseits, junger Mann!« sagte er zu Frau Chauchat und Hans Castorp. So waren sie seinem schweren Körper beim Aufkommen vom Stuhle behilflich, boten ihm ihre Arme dar, und eingehängt in beide trat er breitbeinig, das mächtige Haupt auf eine seiner hochgezogenen Schultern geneigt und bald den einen, bald den anderen seiner Führer durch die Schwankungen seines Schrittes zur Seite drängend, den Weg zur Ruhe an. Im Grunde war es wohl ein königlicher Luxus, den er sich leistete, indem er sich dieser Art lotsen und stützen ließ. Wahrscheinlich hätte er, wenn es ihm darauf angekommen wäre, auch allein gehen können, – er verschmähte jedoch diese Anstrengung, die ja nur den kleinen und untergeordneten Sinn hätte haben können, seinen Rausch schamhaft zu verbergen, während er sich desselben offenbar nicht nur durchaus nicht schämte, sondern sich im Gegenteil groß und üppig darin gefiel und sich einen königlichen Spaß daraus machte, seine dienenden Führer schwankend nach rechts und links zu stoßen. Er selbst äußerte unterwegs:
    »Kinder, – Unsinn, – man ist natürlich gar nicht – Wenn diesen Augenblick – Ihr solltet sehen – Lächerlich –«
    »Lächerlich!« bestätigte Hans Castorp. »Aber

Weitere Kostenlose Bücher