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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Kopf großartig scherzte und wieder dem tanzenden Heidenpriester dabei glich.
    Ja, ein herrlicher Körper, die Fieberrinde! – es waren übrigens noch keine dreihundert Jahre, daß die Pharmakologie unseres Erdteils Kunde davon gewonnen, und noch kein Jahrhundert, daß die Chemie das Alkaloid, worauf seine Tugenden eigentlich beruhten, das Chinin also, entdeckt hatte – entdeckt und bis zu einem gewissen Grade analysiert; denn daß sie aus seiner Konstitution bis jetzt so recht klug geworden wäre oder imstande sei, es künstlich herzustellen, konnte die Chemie nicht {874} behaupten. Unsere Arzneimittelkunde tat überall gut, sich ihres Wissens nicht lästerlich zu überheben, denn wie mit dem Chinin erging es ihr mit so manchem: Sie wußte dies und das von der Dynamik, den Wirkungen der Stoffe, allein die Frage, worauf denn diese Wirkungen genau genommen zurückzuführen seien, setzte sie oft genug in Verlegenheit. Der junge Mann mochte sich doch in der Giftkunde umsehen, – über die elementaren Eigenschaften, die die Wirkungen der sogenannten Giftstoffe bedingten, würde niemand ihm Auskunft geben. Da waren zum Exempel die Schlangengifte, – über welche nicht mehr bekannt war, als daß diese tierischen Stoffe einfach in die Reihe der Eiweißverbindungen gehörten, aus verschiedenen Eiweißkörpern bestünden, die aber nur in dieser bestimmten – nämlich durchaus unbestimmten – Zusammensetzung ihre fulminanten Wirkungen taten: in den Blutkreislauf gebracht, Effekte zeitigten, über die man sich nur verwundern konnte, da man Eiweiß auf Gift nicht zu reimen gewohnt war. Aber mit der Welt der Stoffe, sagte Peeperkorn, indem er neben seinem blaßäugig vom Kissen aufgerichteten Haupt mit den Stirnarabesken den Exaktheitsring und die Lanzen seiner Finger emporhielt, – mit den Stoffen stehe es so, daß alle Leben und Tod auf einmal bärgen: alle seien Ptisanen und Gifte zugleich, Heilmittelkunde und Toxikologie seien ein und dasselbe, an Giften genese man, und was für des Lebens Träger gelte, töte unter Umständen mit einem einzigen Krampfschlage in Sekundenfrist.
    Er sprach sehr eindringlich und ungewöhnlich zusammenhängend von den Ptisanen und Giften, und Hans Castorp hörte ihm mit schrägem Kopfe nickend zu, beschäftigt weniger mit dem Inhalt seiner Reden, der ihm am Herzen zu liegen schien, als mit dem stillen Erkunden seiner Persönlichkeitswirkung, die letzten Endes ebenso unerklärlich war wie die Wirkung der Schlangengifte. Dynamik, sagte Peeperkorn, sei alles in der {875} Welt der Stoffe, – das Weitere sei völlig bedingt. Auch das Chinin sei ein Heilgift, kraftvoll in erster Linie. Vier Gramm davon machten taub, schwindelig, kurzatmig, brächten Sehstörungen hervor wie Atropin, berauschten wie Alkohol, und die Arbeiter in Chininfabriken hätten entzündete Augen und geschwollene Lippen, litten an Hautausschlägen. Und er fing an, von der Cinchona, dem Chinabaum, zu erzählen, von den Urwäldern der Kordilleren, wo er in dreitausend Meter Höhe seine Heimat habe, und von wo seine Rinde als »Jesuitenpulver« so spät nach Spanien gekommen sei, – den Eingeborenen Südamerikas in ihren Kräften seit langem bekannt; er schilderte die gewaltigen Cinchonaplantagen der niederländischen Regierung auf Java, von wo alljährlich viele Millionen Pfund der rötlich zimtähnlichen Rindenröhren nach Amsterdam und London verschifft würden … Die Rinden überhaupt, das Rindengewebe der Holzgewächse, von der Epidermis bis zum Cambium, – sie hätten es in sich, sagte Peeperkorn, fast immer besäßen sie außerordentliche dynamische Tugenden, im Guten wie im Bösen, – die Drogenkunde der farbigen Völker sei der unsrigen da weit überlegen. Auf einigen Inseln östlich von Neuguinea bereiteten sich die jungen Leute einen Liebeszauber, indem sie die Rinde eines bestimmten Baumes, der wahrscheinlich ein Giftbaum sei, wie der Antiaris toxicaria von Java, der gleich dem Manzanillabaum durch seine Ausdünstung die Luft rings um sich her vergiften und Mensch und Tier zu Tode betäuben solle, – indem sie also die Rinde dieses Baumes zu Pulver zerrieben, das Pulver mit Kokosnußschnitzeln vermischten, die Mischung in ein Blatt rollten und brieten. Sie spritzten dann den Saft des Gemengsels der Spröden, der es gelte, im Schlaf ins Gesicht, und sie entbrenne für den, der gespritzt habe. Zuweilen sei es die Wurzelrinde, die es in sich habe, wie diejenige einer Schlingpflanze des Malaiischen

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