Der Zauberberg
zusammenhängend sprechen, wenn er warm wird«, sagte Hans Castorp. »Er hat mir gelegentlich von dynamischen Drogen und asiatischen Giftbäumen erzählt, so interessant, daß es fast unheimlich war – das Interessante ist immer etwas unheimlich – und interessant war es wieder nicht so sehr an und für sich, als eigentlich nur im Zusammenhang mit seiner Persönlichkeitswirkung: die machte es zugleich unheimlich und interessant …«
»Natürlich, Ihre Schwäche für das Asiatische ist bekannt. In der Tat, mit solchen Wundern kann ich nicht aufwarten«, erwiderte Herr Settembrini mit soviel Bitterkeit, daß Hans Castorp eilig erklärte, die Vorzüge seiner Unterhaltung und Belehrung lägen selbstverständlich nach einer ganz anderen Seite hin, und es komme niemandem in den Sinn, Vergleiche anzustellen, durch die beiden Teilen Unrecht geschehen würde. Doch der Italiener überhörte und verschmähte die Höflichkeit. Er fuhr fort:
»Auf jeden Fall müssen Sie erlauben, daß man Ihre Sachlichkeit und Gemütsruhe bewundert, Ingenieur. Sie streift ein wenig das Groteske, das werden Sie einräumen. Wie schließlich alles steht und liegt … Dieser Ölgötze hat Ihnen Ihre Beatrice weggenommen, – ich nenne die Dinge bei ihrem Namen. Und Sie? Es ist beispiellos.«
»Temperamentsunterschiede, Herr Settembrini. Unterschiede in Hinsicht auf Hitze und Ritterlichkeit des Geblütes. Natürlich, Sie als Mann des Südens, Sie würden wohl Gift und Dolch zu Rate ziehen oder jedenfalls die Sache gesellschaftlich-leidenschaftlich gestalten, kurz hahnenmäßig. Das wäre gewiß sehr männlich, gesellschaftlich-männlich und galant. Mit mir aber ist es was anderes. Ich bin gar nicht männlich auf die Art, {886} daß ich im Manne nur das nebenbuhlende Mitmännchen erblicke, – ich bin es vielleicht überhaupt nicht, aber bestimmt nicht auf diese Art, die ich unwillkürlich ›gesellschaftlich‹ nenne, ich weiß nicht, warum. Ich frage mich in meiner tranigen Brust, ob ich ihm denn was vorzuwerfen habe. Hat er mir wissentlich etwas angetan? Aber Beleidigungen müssen mit Absicht geschehen, sonst sind sie keine. Und was das ›antun‹ betrifft, da müßte ich mich schon an
sie
halten, und dazu habe ich auch wieder kein Recht, – überhaupt nicht und in Hinsicht auf Peeperkorn noch ganz besonders nicht. Denn er ist erstens eine Persönlichkeit, was schon allein etwas für Frauen ist, und zweitens ist er kein Zivilist, wie ich, sondern eine Art von Militär, wie mein armer Vetter, das heißt: er hat einen point d’honneur, eine Ehrenpuschel, und das ist das Gefühl, das Leben … Ich schwatze da Unsinn, aber ich will lieber ein bißchen faseln und dabei etwas Schwieriges halbwegs ausdrücken, als immer nur tadellose Hergebrachtheiten von mir geben, – das ist doch vielleicht auch so etwas wie ein militärischer Zug in meinem Charakterbilde, wenn ich so sagen darf …«
»Sagen Sie immerhin so«, nickte Herr Settembrini. »Unbedingt wäre das ein Zug, den man loben dürfte. Der Mut der Erkenntnis und des Ausdrucks, das ist die Literatur, es ist die Humanität …«
So kamen sie leidlich voneinander bei solcher Gelegenheit; Herr Settembrini gab dem Gespräch versöhnlichen Abschluß, wozu er auch gute Gründe hatte. Seine Position dabei war keineswegs so unverletzlich, daß es ratsam für ihn gewesen wäre, die Strenge sehr weit zu treiben; ein Gespräch, das von Eifersucht handelte, war etwas schlüpfriger Boden für ihn; an einem bestimmten Punkte hätte er eigentlich antworten müssen, daß, in Anbetracht seiner pädagogischen Ader, sein Verhältnis zum Männlichen auch nicht durchaus gesellschaftlich-hahnenmäßiger Art sei, weshalb der großmächtige Peeperkorn {887} seine Kreise ebenso störe, wie Naphta und Frau Chauchat es täten; und zum Schluß durfte er nicht hoffen, seinem Schüler eine Persönlichkeitswirkung und natürliche Überlegenheit auszureden, der er selbst sich so wenig, wie sein Partner in zerebralen Angelegenheiten, zu entziehen vermochte.
Am besten erging es ihnen, wenn geistige Lüfte wehen, wenn sie disputieren – die Aufmerksamkeit der Spazierenden an eine ihrer zugleich eleganten und leidenschaftlichen, ihrer akademischen und dabei in einem Tonfall, als handele es sich um brennendste Tages- und Lebensfragen, geführten Debatten fesseln konnten, deren Kosten sie fast allein bestritten, und für deren Dauer das anwesende »Format« gewissermaßen neutralisiert war, da es sie nur mit
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