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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Weltdeutung, die das Universum verteufele, nämlich so {892} wohl das Leben, als auch zugleich sein erdünkeltes Gegenteil, den Geist: denn wenn jenes böse sei, müsse auch dieser, als reine Verneinung, es sein! Und er brach eine Lanze für die Unschuld der Wollust – wobei Hans Castorp an sein Humanistenstübchen im Dache mit dem Stehpult, den Strohstühlen und der Wasserflasche denken mußte, – während Naphta, behauptend, nie könne Wollust ohne Schuld sein, und die Natur habe angesichts des Geistigen gefälligst ein schlechtes Gewissen zu haben, die kirchliche Politik und Indulgenz des Geistes als »Liebe« bestimmte, um den Nihilismus des asketischen Prinzips zu widerlegen, – wobei Hans Castorp fand, daß das Wort »Liebe« dem scharfen, mageren kleinen Naphta recht sonderbar zu Gesichte stehe …
    So ging das weiter, wir kennen das Spiel, Hans Castorp kannte es. Wir haben mit ihm einen Augenblick hingehört, um zu beobachten, wie, beispielsweise, ein solcher peripatetischer Waffengang sich im Schatten der nebenherwandelnden Persönlichkeit ausnahm, und auf welche Weise etwa diese Gegenwart ihn insgeheim um den Nerv brachte: nämlich so, daß ein heimlicher Zwang zur Bezugnahme auf sie den hin und her springenden Funken tötete und eine Erinnerung an jenes Gefühl matter Leblosigkeit sich aufdrängte, das uns überkommt, wenn eine elektrische Leitung sich als kontaktlos erweist. Gut! so war es. Da war kein Knistern zwischen den Widersprüchen mehr, kein Sprung des Blitzes, kein Strom, – die Gegenwart, neutralisiert durch den Geist, wie dieser meinen wollte, neutralisierte vielmehr den Geist; Hans Castorp ward es mit Staunen und Neugier gewahr.
    Revolution und Erhaltung, – man blickte auf Peeperkorn, man sah ihn daherstapfen, nicht besonders großartig zu Fuß, mit seinem seitwärts nickenden Tritt und den Hut in der Stirn; sah seine breiten, unregelmäßig zerrissenen Lippen und hörte ihn sagen, indem er scherzhaft mit dem Kopf auf die Dispu {893} tanten deutete: »Ja – ja – ja! Cerebrum, cerebral, verstehen Sie! Das ist – Da zeigt sich denn doch –«: und siehe, der Steckkontakt war mausetot! Sie versuchten es zum andern, griffen zu stärkeren Beschwörungen, kamen auf das »aristokratische Problem«, auf Popularität und Vornehmheit. Kein Funke. Magnetisch nahm das Gespräch persönlichen Bezug; Hans Castorp sah Clawdias Reisebegleiter unter der rotseidenen Steppdecke im Bette liegen, im kragenlosen Trikothemd, halb alter Arbeitsmann, halb Königsbüste, – und mit mattem Zucken erstarb der Nerv des Streites. Stärkere Spannungen! Verneinung hie und Kult des Nichts – hie ewiges Ja und liebende Neigung des Geistes zum Leben! Wo blieben Nerv, Blitz und Strom, wenn man auf Mynheer blickte, – was unvermeidlich und kraft geheimer Anziehung geschah? Kurzum, sie blieben
aus
, und das war, mit Hansens Wort, nicht weniger noch mehr als ein Mysterium. Für seine Aphorismensammlung mochte er sich notieren, daß man ein Mysterium mit allereinfachsten Worten ausspricht – oder es unausgesprochen läßt. Um dieses allenfalls auszusprechen, durfte man einzig sagen, aber dies geradezu, daß Pieter Peeperkorn mit seiner hochfaltigen Königsmaske und seinem bitter zerrissenen Munde jeweils beides war, daß beides auf ihn zu passen und in ihm sich aufzuheben schien, wenn man ihn ansah: dies und jenes, das eine und das andre. Ja, dieser dumme alte Mann, dies herrscherliche Zero! Er lähmte den Nerv der Widersprüche nicht durch Verwirrung und Quertreiberei, wie Naphta; er war nicht zweideutig, wie dieser, er war es auf ganz entgegengesetzte, auf positive Art, – dies torkelnde Mysterium, das offenkundig nicht über Dummheit und Gescheitheit allein, das über soviel andre Oppositionen noch hinaus war, die Settembrini und Naphta beschworen, um zu erzieherischem Behufe Hochspannung zu erzeugen. Die Persönlichkeit, so schien es, war nicht erzieherisch, – und dennoch, welche Chance war sie für einen Bildungsreisenden! Wie {894} seltsam, diese Zweideutigkeit von einem König zu betrachten, als die Streiter auf Ehe und Sünde kamen, auf das Sakrament der Nachsicht, auf Schuld und Unschuld der Wollust! Er neigte das Haupt zur Schulter und Brust, die wehen Lippen taten sich voneinander, schlaff-klagend klaffte der Mund, die Nüstern spannten und verbreiterten sich wie in Schmerzen, die Falten der Stirne stiegen und weiteten die Augen zu blassem Leidensblick, – ein Bild der Bitternis. Und

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