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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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entgegengebracht habe, gewisser Mönchsgestalten zum Beispiel, die, Erfindungen volkstümlicher Dichterphantasie, dem asketischen Gedanken auf bereits recht lutherische Weise Wein, Weib und Gesang entgegengestellt hätten. Alle Instinkte weltlichen Heldentums, aller Kriegergeist, dazu die höfische Dichtung habe sich in mehr oder minder offener Gegenstellung zur religiösen Idee und damit zur Hierarchie befunden. Denn das alles sei »Welt« und Pöbeltum gewesen im Vergleich mit dem durch die Kirche dargestellten Adel des Geistes.
    Herr Settembrini dankte für die Gedächtnisstärkung. Die Figur des Mönches Ilsan aus dem »Rosengarten« behalte viel Erquickliches gegenüber dem hier gepriesenen Grabesaristo {890} kratismus, und wenn er, Redner, kein Freund des deutschen Reformators sei, auf den eine Anspielung geschehen, so finde man ihn doch glühend bereit, alles, was an demokratischem Individualismus seiner Lehre zugrunde liege, gegen jederlei geistlich-feudale Herrschaftsgelüste über die Persönlichkeit in Schutz zu nehmen.
    »Ei!« rief Naphta nun auf einmal. Man wolle der Kirche wohl gar einen Mangel an Demokratismus, an Sinn für den Wert der menschlichen Persönlichkeit unterstellen? Und die humane Vorurteilslosigkeit des kanonischen Rechtes, welches, während das römische die Rechtsfähigkeit vom Besitz des Bürgerrechtes abhängig gemacht, das germanische sie an Volkszugehörigkeit und persönliche Freiheit gebunden habe, einzig kirchliche Gemeinschaft und Rechtgläubigkeit verlangt, sich aller staatlichen und gesellschaftlichen Rücksichten entschlagen und die Testier- und Sukzessionsfähigkeit von Sklaven, Kriegsgefangenen, Unfreien behauptet habe?!
    Diese Behauptung, bemerkte Settembrini bissig, sei wohl nicht ohne Seitenblick auf die »kanonische Portion« aufrecht erhalten worden, die bei jedem Testament habe abfallen müssen. Im übrigen sprach er von »Pfaffendemagogie«, nannte es die Leutseligkeit unbedingter Machtbegier, die Unterwelt in Bewegung zu setzen, wenn die Götter begreiflicherweise nichts von einem wissen wollten, und meinte, es sei der Kirche offenbar auf die Quantität der Seelen mehr angekommen, als auf ihre Qualität, was auf tiefe geistige Unvornehmheit schließen lasse.
    Unvornehm gesonnen – die Kirche? Herr Settembrini wurde auf den unerbittlichen Aristokratismus aufmerksam gemacht, welcher der Idee von der Erblichkeit der Schande zugrunde gelegen habe: der Übertragung schwerer Schuld auf die – demokratisch gesprochen – doch unschuldigen Nachkommen; die lebenslange Makelhaftigkeit und Rechtlosigkeit natür {891} licher Kinder zum Beispiel. Aber er bat, davon stille zu sein, – erstens, weil sein humanes Gefühl sich dagegen empöre, und zweitens, weil er die Winkelzüge satt habe und in den Kunstgriffen der gegnerischen Apologetik den durchaus infamen und teuflischen Kultus des Nichts wiedererkenne, der Geist genannt sein wolle, und der die eingestandene Unpopularität des asketischen Prinzips als etwas so Legitimes, so Heiliges empfinden lasse.
    Hier kam nun Naphta denn doch um die Erlaubnis ein, hell herauslachen zu dürfen. Man spreche vom Nihilismus der Kirche! Vom Nihilismus des am meisten realistischen Herrschaftssystems der Weltgeschichte! Nie habe Herrn Settembrini also ein Hauch berührt von der humanen Ironie, mit der sie der Welt, dem Fleische beständig Zugeständnisse gewähre, in kluger Nachgiebigkeit die letzten Folgerungen des Prinzips verhülle und den Geist als regelnden Einfluß walten lasse, ohne der Natur allzu streng zu begegnen? Auch von dem priesterlich feinen Begriff der Indulgenz habe er folglich nie gehört, unter den sogar ein Sakrament, nämlich das der Ehe, falle, welches gar kein positives Gut, gleich den anderen Sakramenten, sondern nur ein Schutz gegen die Sünde sei, verliehen einzig zur Einschränkung der sinnlichen Begierde und der Unmäßigkeit, so daß das asketische Prinzip, das Keuschheitsideal sich darin behaupte, ohne daß dem Fleische mit unpolitischer Schärfe entgegengetreten werde?
    Wie konnte Herr Settembrini da umhin, sich zu verwahren gegen einen so abscheulichen Begriff des »Politischen«, gegen die Gebärde dünkelhafter Nachsicht und Klugheit, die der Geist – das, was sich hier Geist nenne – sich anmaße gegen sein vermeintlich schuldhaftes und »politisch« zu behandelndes Gegenteil, welches in Wahrheit seiner giftigen Indulgenz durchaus nicht bedürfe; gegen die verfluchte Zweiheitlichkeit einer

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