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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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standen. »Ich übermache Ihnen den ganzen Zauber zu freier Lust, empfehle ihn aber dem Schutze des Publikums. Wollen wir mal probeweise eine erbrausen lassen?«
    Die Kranken baten flehentlich darum, und Behrens zog eines der stumm-gehaltvollen Zauberbücher hervor, wandte die schweren Blätter, zog aus einer der Kartontaschen, deren kreisförmige Ausschnitte die farbigen Titel erkennen ließen, eine Platte und legte sie ein. Mit einem Handgriff gab er der Drehscheibe Strom, zögerte zwei Sekunden, bis ihr Lauf die volle Geschwindigkeit erreicht hatte, und setzte die feine Spitze des Stahlstiftes behutsam auf den Plattenrand. Ein leicht wetzendes Geräusch ward hörbar. Er senkte den Deckel darüber, und in demselben Augenblick brach durch die offene Flügeltür, zwischen den Spalten der Jalousie hervor, nein, aus dem ganzen Körper der Truhe Instrumentaltrubel, eine lustig lärmende und drängende Melodie, die ersten gliederwerfenden Takte einer Ouvertüre von Offenbach.
    Man lauschte mit offenen Mündern lächelnd. Man traute seinen Ohren nicht, wie überaus rein und natürlich die Koloraturen der Holzbläser lauteten. Eine Geige, sie ganz allein, präludierte phantastisch. Man vernahm den Bogenstrich, das Tremolo des Griffes, das süße Gleiten von einer Lage in die andere. Sie fand ihre Melodie, den Walzer, das »Ach, ich habe sie verloren«. Leicht trug Orchesterharmonie die schmeichlerische Weise, und es war zum Entzücken, wie sie, ehrenvoll vom Ensemble aufgenommen, als rauschendes Tutti sich wiederholte. Natürlich war es nicht so, wie wenn eine wirkliche Kapelle im Zimmer hier konzertiert hätte. Der Klangkörper, unentstellt im übrigen, erlitt eine perspektivische Minderung; es war, wenn es erlaubt ist, für den Gehörsfall ein Gleichnis aus {967} dem Gebiet des Gesichtes einzusetzen, als ob man ein Gemälde durch ein umgekehrtes Opernglas betrachtete, so daß es entrückt und verkleinert erschien, ohne an der Schärfe seiner Zeichnung, der Leuchtkraft seiner Farben etwas einzubüßen. Das Musikstück, talentstraff und prickelnd, spielte sich ab in allem Witz seiner leichtsinnigen Erfindung. Den Schluß machte die Ausgelassenheit selbst, ein drollig zögernd ansetzender Galopp, ein unverschämter Cancan, der die Vision in der Luft geschüttelter Zylinder, schleudernder Knie, aufstiebender Rökke erzeugte und im komisch-triumphalen Enden kein Ende fand. Dann schnappte das Drehwerk selbsttätig ein. Es war aus. Man applaudierte von Herzen.
    Man rief nach Weiterem und man bekam es: Menschliche Stimme entströmte dem Schrein, männlich, weich und gewaltig auf einmal, von Orchester begleitet, ein italienischer Bariton berühmten Namens, – und nun konnte durchaus von keiner Verschleierung und Entfernung mehr die Rede sein: das herrliche Organ erscholl nach seinem vollen natürlichen Umfang und Kraftinhalt, und namentlich wenn man in eines der offenen Nebenzimmer trat und den Apparat nicht sah, so war es nicht anders, als stände dort im Salon der Künstler in körperlicher Person, das Notenblatt in der Hand, und sänge. Er sang eine Opernbravourarie in seiner Sprache – eh, il barbiere. Di qualità, di qualità! Figaro qua, Figaro là, Figaro, Figaro, Figaro! Die Zuhörer wollten sterben vor Lachen über sein falsettierendes parlando, über den Kontrast dieser Bärenstimme und dieser zungenbrecherischen Sprechfertigkeit. Erfahrene mochten die Künste seiner Phrasierung, seiner Atemtechnik verfolgen und bewundern. Meister des Unwiderstehlichen, Virtuose des welschen Da capo-Geschmacks, hielt er den vorletzten Ton, vor der Schlußtonika, zur Rampe vordringend, wie es schien, und offenbar die Hand in der Luft, auf eine Weise aus, daß man in gezogene Bravorufe ausbrach, bevor er geendigt hatte. Es war vorzüglich.
    {968} Und es gab mehr. Ein Waldhorn vollführte mit schöner Vorsicht Variationen über ein Volkslied. Eine Sopranistin schmetterte, stakkierte und trillerte eine Arie aus »La Traviata« mit der lieblichsten Kühle und Genauigkeit. Der Geist eines Violinisten von Weltruf spielte, wie hinter Schleiern, zu einer Klavierbegleitung, die trocken klang, wie Spinett, eine Romanze von Rubinstein. Aus der sacht kochenden Wundertruhe drangen Glockenklänge, Harfenglissandos, Trompetengeschmetter und Trommelwirbel. Schließlich wurden Tanzplatten eingelegt. Sogar von dem neuen Import war schon ein und das andere Beispiel vorhanden, im exotischen Hafenkneipengeschmack, der Tango, berufen, aus dem Wiener

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