Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
bevorstand.

Fülle des Wohllauts
    Welche Errungenschaft und Neueinführung des Hauses Berghof war es, die unsern langjährigen Freund vom Kartentic erlöste und ihn einer anderen, edleren, wenn auch im Grunde nicht weniger seltsamen Leidenschaft in die Arme führte? Wir sind im Begriffe, es zu erzählen, erfüllt von den geheimen Reizen des Gegenstandes und aufrichtig begierig, sie mitzuteilen.
    {964} Es handelte sich um eine Vermehrung der Unterhaltungsgeräte des Hauptgesellschaftsraumes, aus nie rastender Fürsorge ersonnen und beschlossen im Verwaltungsgremium des Hauses, beschafft mit einem Kostenaufwand, den wir nicht berechnen wollen, den wir aber großzügig müssen nennen dürfen, von der Oberleitung dieses unbedingt zu empfehlenden Instituts. Ein sinnreiches Spielzeug also von der Art des stereoskopischen Guckkastens, des fernrohrförmigen Kaleidoskops und der kinematographischen Trommel? Allerdings – und auch wieder durchaus nicht. Denn erstens war das keine optische Veranstaltung, die man eines Abends – und man schlug die Hände teils über dem Kopf, teils in gebückter Haltung vorm Schoße zusammen – im Klaviersalon aufgebaut fand, sondern eine akustische; und ferner waren jene leichten Attraktionen nach Klasse, Rang und Wert überhaupt nicht mit ihr zu vergleichen. Das war kein kindliches und einförmiges Gaukelwerk, dessen man überdrüssig war, und das man nicht mehr anrührte, sobald man auch nur drei Wochen auf dem Buckel hatte. Es war ein strömendes Füllhorn heiteren und seelenschweren künstlerischen Genusses. Es war ein Musikapparat. Es war ein Grammophon.
    Unsere ernste Sorge ist, dies Wort möchte in einem unwürdigen und überholten Sinne mißverstanden und Vorstellungen möchten daran geknüpft werden, die einer verjährten Vorform dessen, was uns als Wahrheit vorschwebt, nicht aber dieser in unermüdlich fortbildenden Versuchen einer musisch gerichteten Technik zur vornehmsten Vollendung entwickelten Wahrheit gerecht werden. Ihr Guten! Das war das armselige Kurbelkästchen nicht, das ehemals wohl, Drehscheibe und Griffel obenauf, Anhängsel eines unförmigen Trompetenschalltrichters aus Messing, von einem Wirtshaustische herunter anspruchslose Ohren mit näselndem Gebrüll erfüllte. Der mattschwarz gebeizte Schrein, der hier, ein wenig tiefer als {965} breit, angeschlossen mit seidenem Kabel an einen elektrischen Steckkontakt der Wand, in schlichter Distinktion auf einem Fachtischchen stand, zeigte mit jener rohen und vorsintflutlichen Maschinerie überhaupt keine Ähnlichkeit mehr. Man öffnete den anmutig sich verjüngenden Deckel, dessen innere, vom Grunde gehobene Messingstütze ihn in schräg schirmender Lage automatisch feststellte, und man gewahrte in flacher Vertiefung die mit grünem Tuch ausgeschlagene Drehscheibe mit Nickelrand und dem gleichfalls vernickelten Mittelzapfen, über den das Loch der Hartgummiplatte zu fügen war. Man bemerkte ferner, rechts seitwärts im Vordergrunde, eine uhrähnlich bezifferte Vorrichtung zur Regelung des Tempos, zur Linken den Hebel, mit dem das Drehwerk in Lauf zu setzen oder zu stoppen war; links hinten aber den gewunden keulenförmigen, in weichen Gelenken beweglichen Hohlarm aus Nickel, mit der flachrunden Schalldose an seinem Ende, deren Schraubwerk die ziehende Nadel zu tragen bestimmt war. Man öffnete auch die Flügel der vorderen Doppeltür und erblickte dahinter ein jalousieartiges Gefüge schräg stehender Leisten aus schwarz gebeiztem Holze – nichts weiter.
    »Es ist das neueste Modell«, sagte der Hofrat, der mit eingetreten war. »Letzte Errungenschaft, Kinder, Ia, ff, was Besseres gibt es nicht in dem Janger.« Er sprach das Wort urkomisch-unmöglich aus, wie etwa ein minder gebildeter Verkäufer es anpreisend getan haben würde. »Das ist kein Apparat und keine Maschine,« fuhr er fort, indem er aus einem der auf dem Tischchen angeordneten buntfarbigen Blechbüchschen eine Nadel nahm und sie befestigte, »das ist ein Instrument, das ist eine Stradivarius, eine Guarneri, da herrschen Resonanz- und Schwingungsverhältnisse vom ausgepichtesten Raffinemang! ›Polyhymnia‹ heißt die Marke, wie die Inschrift hier im inneren Deckel Sie lehrt. Deutsches Fabrikat, wissen Sie. Wir machen das mit Abstand am besten. Das treusinnig Musikalische in {966} neuzeitlich-mechanischer Gestalt. Die deutsche Seele up to date. Da haben Sie die Literatur!« sagte er und wies auf ein Wandschränkchen, worin breitrückige Alben aufgereiht

Weitere Kostenlose Bücher