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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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lieber euch hier oben. Wenn ich nur wüßte,« fuhr Hans Castorp fort, indem er beide Hände zum Herzen führte wie ein Verliebter, »warum ich die ganze Zeit solches Herzklopfen habe, – es ist so beunruhigend, ich denke schon länger darüber nach. Siehst du, man hat Herzklopfen, wenn einem eine ganz besondere Freude bevorsteht oder wenn man sich ängstigt, kurz, bei Gemütsbewegungen, nicht? Aber wenn einem das Herz nun ganz von selber klopft, grundlos und sinnlos und sozusagen auf eigene Hand, das finde ich geradezu unheimlich, versteh mich recht, es ist ja so, als ob der Körper seine eigenen Wege ginge und keinen Zusammenhang mit der Seele mehr hätte, gewissermaßen wie ein toter Körper, der ja auch nicht wirklich tot ist – das gibt es gar nicht –, sondern sogar ein sehr lebhaftes Leben führt, nämlich auf eigene Hand: es wachsen ihm noch die Haare und Nägel, und auch sonst soll physikalisch und chemisch, wie ich mir habe sagen lassen, ein überaus munterer Betrieb darin herrschen …«
    »Was sind denn das für Ausdrücke«, sagte Joachim besonnen verweisend. »Ein munterer Betrieb!« Und vielleicht rächte er sich damit ein wenig für den Verweis, den er heute früh wegen des »Schellenbaums« erhalten.
    »Aber es ist doch so! Es
ist
ein sehr munterer Betrieb! Warum nimmst du denn Anstoß daran?« fragte Hans Castorp. »Übrigens erwähnte ich das nur nebenbei. Ich wollte nichts weiter sagen, als: es ist unheimlich und quälend, wenn der Körper auf eigene Hand und ohne Zusammenhang mit der Seele lebt und sich wichtig macht, wie bei solchem unmotivierten Herzklopfen. Man sucht förmlich nach einem Sinn dafür, einer Gemütsbewegung, die dazu gehört, einem Gefühl der Freude oder der Angst, wodurch es sozusagen gerechtfertigt würde, – so geht es wenigstens mir, ich kann nur von mir reden.«
    {112} »Ja, ja,« sagte Joachim seufzend, »es ist wohl so ähnlich, wie wenn man Fieber hat – dabei herrscht auch ein besonders ›munterer Betrieb‹ im Körper, um deinen Ausdruck zu gebrauchen, und da mag es schon sein, daß man sich unwillkürlich nach einer Gemütsbewegung umsieht, wie du sagst, wodurch der Betrieb einen halbwegs vernünftigen Sinn bekommt … Aber wir reden so unangenehmes Zeug«, sagte er mit bebender Stimme und brach ab; worauf Hans Castorp nur mit den Achseln zuckte, und zwar ganz so, wie er es gestern abend zuerst bei Joachim gesehen hatte.
    Sie gingen eine Weile schweigend. Dann fragte Joachim:
    »Nun, wie gefallen dir denn die Leute hier? Ich meine die an unserem Tisch?«
    Hans Castorp machte ein gleichgültig musterndes Gesicht.
    »Gott,« sagte er, »sie scheinen mir nicht sehr interessant. An den anderen Tischen sitzen, glaube ich, interessantere, aber das kommt einem vielleicht nur so vor. Frau Stöhr sollte sich das Haar waschen lassen, es ist so fett. Und diese Mazurka da, oder wie sie heißt, kommt mir etwas albern vor. Immer muß sie sich das Taschentuch in den Mund stopfen vor lauter Kichern.«
    Joachim lachte laut über die Namensverdrehung.
    »›Mazurka‹ ist ausgezeichnet!« rief er. »Marusja heißt sie, wenn du erlaubst, – das ist soviel wie Marie. Ja, sie ist wirklich zu ausgelassen«, sagte er. »Und dabei hätte sie allen Grund, gesetzter zu sein, denn sie ist gar nicht wenig krank.«
    »Das sollte man nicht denken«, sagte Hans Castorp. »Sie ist so gut im Stand. Gerade für brustkrank sollte man sie nicht halten.« Und er versuchte mit dem Vetter einen flotten Blick zu tauschen, fand aber, daß Joachims sonnverbranntes Gesicht eine fleckige Färbung zeigte, wie sonnverbrannte Gesichter sie annehmen, wenn das Blut daraus weicht, und daß sein Mund sich auf ganz eigentümlich klägliche Weise verzerrt hatte, – zu einem Ausdruck, der dem jungen Hans Castorp einen unbe {113} stimmten Schrecken einflößte und ihn veranlaßte, sofort den Gegenstand zu wechseln und sich nach anderen Personen zu erkundigen, wobei er Marusja und Joachims Gesichtsausdruck rasch zu vergessen suchte, was ihm auch völlig gelang.
    Die Engländerin mit dem Hagebuttentee hieß Miß Robinson. Die Nähterin war keine Nähterin, sondern Lehrerin an einer staatlichen höheren Töchterschule in Königsberg, und dies war der Grund, weshalb sie sich so richtig ausdrückte. Sie hieß Fräulein Engelhart. Was die muntere alte Dame betraf, so wußte Joachim selber nicht, wie sie hieß, wie lange er auch schon hier oben war. Jedenfalls war sie die Großtante des Yoghurt essenden jungen

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