Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
oder drei Atemzüge von Chloroform getan. Daß Dr. Krokowski doch noch beim Frühstück erschien und an seiner Tafel, ihm gegenüber, Platz nahm, bemerkte er nur traumweise, obgleich der Doktor ihn wiederholentlich scharf ins Auge faßte, während er mit den Damen zu seiner Rechten russisch konversierte, – wobei die jungen Mädchen, nämlich die blühende Marusja sowohl wie auch die magere Yoghurtesserin, unterwürfig und schamhaft die Augen vor ihm niederschlugen. Übrigens hielt Hans Castorp sich redlich, wie sich von selbst versteht, schwieg, da seine Zunge sich widerspenstig zeigte, lieber still und handhabte Messer und Ga {109} bel sogar mit besonderem Anstand. Als sein Vetter ihm zunickte und sich erhob, stand er ebenfalls auf, verneigte sich blind gegen die Tischgenossen und ging bestimmten Schrittes hinter Joachim hinaus.
    »Wann ist denn wieder Liegekur?« fragte er, als sie das Haus verließen. »Das ist das Beste hier, soviel ich sehe. Ich wollte, ich läge schon wieder auf meinem vorzüglichen Stuhl. Gehen wir weit spazieren?«

Ein Wort zuviel
    »Nein,« sagte Joachim, »weit darf ich ja gar nicht gehen. Um diese Zeit gehe ich immer ein bißchen hinunter, durchs Dorf und bis Platz, wenn ich Zeit habe. Man sieht Läden und Leute und kauft ein, was man braucht. Man liegt vor Tische noch eine Stunde, und dann liegt man wieder bis vier Uhr, sei ganz unbesorgt.«
    Sie gingen im Sonnenschein die Anfahrt hinab und überschritten den Wasserlauf und das schmale Geleise, die Berggestalten der rechten Tallehne vor Augen: das »Kleine Schiahorn«, die »Grünen Türme« und den »Dorfberg«, die Joachim bei Namen nannte. Dort drüben, in einiger Höhe, lag der ummauerte Friedhof von Davos-Dorf, – auf diesen ebenfalls wies Joachim mit seinem Stocke hin. Und sie gewannen die Hauptstraße, die um ein Stockwerk über die Talsohle erhöht die terrassierte Lehne entlang führte.
    Von einem Dorf konnte übrigens nicht gut die Rede sein; jedenfalls war nichts davon als der Name übrig. Der Kurort hatte es aufgezehrt, indem er sich immerfort gegen den Taleingang hin ausdehnte, und der Teil der gesamten Siedelung, welcher »Dorf« hieß, ging unmerklich und ohne Unterschied in den als »Davos Platz« bezeichneten über. Hotels und Pensionen, alle mit gedeckten Veranden, Balkons und Liegehallen reichlich versehen, auch kleine Privathäuser, in denen Zimmer {110} zu vermieten waren, lagen zu beiden Seiten; hier und da kamen Neubauten; manchmal setzte auch die Bebauung aus, und die Straße gewährte den Blick in die offenen Wiesengründe des Tals …
    Hans Castorp, in seinem Verlangen nach dem gewohnten, geliebten Lebensreiz, hatte sich wieder eine Zigarre angezündet, und wahrscheinlich dank dem vorangegangenen Biere vermochte er zu seiner unaussprechlichen Genugtuung hier und da etwas von dem ersehnten Aroma zu verspüren: nur selten und schwach freilich, – es war eine gewisse nervöse Anstrengung nötig, um eine Ahnung des Vergnügens zu empfangen, und der abscheuliche Ledergeschmack herrschte bei weitem vor. Unfähig, sich in seine Ohnmacht zu finden, rang er eine Weile nach dem Genuß, der sich ihm entweder versagte oder nur spottend ahnungsweise von ferne zeigte, und warf die Zigarre endlich ermüdet und angewidert fort. Trotz seiner Benommenheit fühlte er die Höflichkeitsverpflichtung, Konversation zu machen, und suchte sich zu diesem Zwecke der ausgezeichneten Dinge zu erinnern, die er vorhin über die »Zeit« zu sagen gehabt hatte. Allein es erwies sich, daß er den ganzen »Komplex« ohne Rest vergessen hatte und über die Zeit auch nicht den geringsten Gedanken mehr in seinem Kopfe beherbergte. Dafür begann er von körperlichen Angelegenheiten zu reden, und zwar etwas sonderbar.
    »Wann mißt du dich denn wieder?« fragte er. »Nach dem Essen? Ja, das ist gut. Da ist der Organismus in voller Tätigkeit, da muß es sich zeigen. Daß Behrens von mir verlangte, ich sollte mich ebenfalls messen, das war doch wohl nur Spaß, höre mal, – Settembrini lachte ja auch aus vollem Halse darüber, es hätte doch absolut keinen Sinn. Ich habe ja auch nicht mal ein Thermometer.«
    »Nun,« sagte Joachim, »das wäre das wenigste. Du brauchst dir nur einen zu kaufen. Hier sind überall Thermometer zu haben, beinahe in jedem Laden.«
    {111} »Aber wozu denn! Nein, die Liegekur, die lasse ich mir gefallen, die will ich wohl mitmachen, aber das Messen wäre zuviel für einen Hospitanten, das überlasse ich denn doch

Weitere Kostenlose Bücher