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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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muß ich mich hier herumräkeln und kann nicht Dienst machen, das ist eine ekelhafte Tatsache!«
    {104} »Hast du 37,5?«
    »Es geht schon wieder herunter.« Und Joachim machte die Eintragung in seine Tabelle. »Gestern abend waren es fast 38, das machte deine Ankunft. Alle, die Besuch bekommen, haben Erhöhung. Aber es ist doch eine Wohltat.«
    »Ich gehe ja nun auch«, sagte Hans Castorp. »Ich habe noch eine Menge Gedanken über die Zeit im Kopf, – es ist ein ganzer Komplex, kann ich wohl sagen. Aber ich will dich jetzt nicht damit aufregen, da du sowieso zuviel Striche hast. Ich werde es schon alles behalten, und wir können später darauf zurückkommen, vielleicht nach dem Frühstück. Wenn es Frühstückszeit ist, rufst du mich wohl. Ich gehe jetzt auch in die Liegekur, es tut ja nicht weh, gottlob.« Und damit ging er an der gläsernen Scheidewand vorbei in seine eigene Loge hinüber, wo gleichfalls ein Liegestuhl nebst Tischchen aufgeschlagen war, holte sich »Ocean steamships« und sein schönes, weiches, dunkelrot und grün gewürfeltes Plaid aus dem reinlich aufgeräumten Zimmer und ließ sich nieder.
    Auch er mußte sehr bald den Schirm aufspannen; sowie man lag, wurde der Sonnenbrand unerträglich. Man lag aber ganz ungewöhnlich bequem, das stellte Hans Castorp sogleich mit Vergnügen fest, – er erinnerte sich nicht, daß ihm je ein so angenehmer Liegestuhl vorgekommen sei. Das Gestell, ein wenig altmodisch in der Form – was aber nur eine Geschmacksspielerei war, denn der Stuhl war offenbar neu –, bestand aus rotbraun poliertem Holz, und eine Matratze mit weichem, kattunartigen Überzug, eigentlich aus drei hohen Polstern zusammengesetzt, reichte vom Fußende bis über die Rückenlehne hinauf. Außerdem war vermittelst einer Schnur eine weder zu feste noch zu nachgiebige Nackenrolle mit gesticktem Leinenüberzug daran befestigt, die von besonders wohltuender Wirkung war. Hans Castorp stützte einen Arm auf die breite, glatte Fläche der Seitenlehne, blinzelte und ruhte, ohne »Ocean {105} steamships« zu seiner Unterhaltung in Anspruch zu nehmen. Durch die Bögen der Loggia gesehen, wirkte die harte und karge, aber hell besonnte Landschaft draußen gemäldeartig und wie eingerahmt. Hans Castorp betrachtete sie gedankenvoll. Plötzlich fiel ihm etwas ein, und er sagte laut in der Stille: »Es war ja eine Zwergin, die uns beim ersten Frühstück bediente.«
    »Pst«, machte Joachim. »Leise doch. Ja, eine Zwergin. Und?«
    »Nichts. Wir hatten uns noch gar nicht darüber ausgesprochen.«
    Und dann träumte er weiter. Es war schon zehn Uhr gewesen, als er sich niedergelegt hatte. Eine Stunde verging. Es war eine gewöhnliche Stunde, nicht lang, nicht kurz. Als sie verflossen war, tönte ein Gong durch Haus und Garten, erst fern, dann näher, dann wieder fern.
    »Frühstück«, sagte Joachim, und man hörte, daß er aufstand.
    Auch Hans Castorp beendete für diesmal die Liegekur und ging ins Zimmer, um sich ein wenig zurechtzumachen. Die Vettern trafen sich auf dem Korridor und gingen hinunter. Hans Castorp sagte:
    »Nun, es lag sich ja ausgezeichnet. Was sind denn das für Stühle? Wenn es die hier zu kaufen gibt, dann nehme ich mir einen mit nach Hamburg, man liegt ja darauf wie im Himmel. Oder meinst du, daß Behrens sie eigens nach seinen Angaben hat anfertigen lassen?«
    Joachim wußte das nicht. Sie legten ab und betraten zum zweiten Male den Speisesaal, wo die Mahlzeit schon wieder in vollem Gange war.
    Es schimmerte weiß im Saale vor lauter Milch: an jedem Platz stand ein großes Glas, wohl ein halber Liter voll.
    »Nein«, sagte Hans Castorp, als er wieder an seinem Tischende zwischen der Nähterin und der Engländerin Platz genommen und ergeben seine Serviette entfaltet hatte, obgleich {106} er noch so schwer belastet vom ersten Frühstück war. »Nein«, sagte er, »Gott steh mir bei, Milch kann ich überhaupt nicht trinken und am wenigsten jetzt. Ist nicht vielleicht Porter da?« Und er wandte sich zuerst höflich und zart an die Zwergin mit dieser Frage. Leider war keiner da. Aber sie versprach, Kulmbacher Bier zu bringen und brachte es auch. Es war dick, schwarz, braunschaumig und ersetzte den Porter aufs beste. Hans Castorp trank durstig davon aus einem hohen Halbliterglase. Er aß kalten Aufschnitt dazu auf Röstbrot. Wieder war Haferbrei aufgestellt und wieder viel Butter und Obst. Er ließ wenigstens seine Augen darauf ruhen, da er nicht fähig war, sich davon zuzuführen. Auch

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