Der Zauderberg
der Planung seiner Reise nicht bedacht. Im Wartesaal dachte er über sein Leben nach. Er war kein fleißiger Student gewesen und hatte ständig Probleme mit Abgabeterminen gehabt. Aber seine Freunde in der Studentenvereinigung waren immer froh gewesen, wenn sie ihn sahen. Als optimistischer Mensch hatte er immer ein aufmunterndes Wort für die Erstsemester gehabt, die zum ersten Mal von zu Hause weg waren und Probleme hatten, sich an der Universität zurechtzufinden. Es machte ihm Spaß, anderen zu helfen. Wie war er nur in diesen furchtbaren Trott verfallen? Da er sonst nichts zu tun hatte, dachte er stundenlang darüber nach, wie er sich mit seiner ewigen Aufschieberei seinen Erfolg, seine Träume und sein Glück verbaut hatte. Sein Privatleben litt genauso wie seine Arbeit. Selbst wenn er sich den Urlaub nicht verbockt hätte, dann hätte er sich wahrscheinlich die ganze Zeit Gedanken über die unerledigte Arbeit gemacht, die auf seinem Schreibtisch auf ihn wartete, vermutete er. Er sehnte sich nach diesem Gefühl der Kindheit zurück, endlos Zeit zu haben und ohne jedes Schuldgefühl und dringende Verpflichtungen spielen zu können. In seiner nachdenklichen Stimmung stach ihm im Buchladen des Flughafens ein Buch ins Auge, das Abhilfe versprach. Er kaufte es und las es auf dem Heimflug. Er war begeistert und konnte es gar nicht abwarten, einige der Vorschläge umzusetzen – zur Abwechslung war seine Impulsivität einmal ein Vorteil.
Am ersten Tag nach seiner Rückkehr räumte er sein Büro auf und verbannte alles, was ihn ablenken konnte. Auf seinem Computer installierte er Software, mit der er seine Produktivität nachvollziehen konnte. Zum Schluss setzte er sich konkrete und anspruchsvolle Ziele mit klaren Terminen. Die Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten. Tom hinkte nicht mehr dauernd hinterher, sondern hatte plötzlich Zeit, um anderen zu helfen. Umso besser, dachte er. Es machte ihm Spaß, sich mit seinen Kollegen zu unterhalten und ihnen unter die Arme zu greifen. In einem Anfall von Zufriedenheit legte er sich vorab fest und versprach seinem Chef, wenn er seinen nächsten Bericht nicht innerhalb von sieben Tagen fertig hätte, dann würde er auf seinen Jahresbonus verzichten. Sein Chef horchte auf. Als Tom seinen Bericht sogar noch einen Tag vor dem angekündigten Termin einreichte, staunten die Kollegen. Was war nur in der Dominikanischen Republik mit Tom passiert?, fragten sie sich. Im Laufe der nächsten Monate beobachteten seine Vorgesetzten mit Interesse, wie Tom seine Kollegen unterstützte und seine Deadlines einhielt. Sie erkannten Führungspotenzial in ihm und beförderten ihn.
In seiner Freude besuchte Tom seinen älteren Bruder Tim und erzählte ihm von dem Karriereschritt. Nachdem sie das Ereignis gebührend mit ein paar Bier begossen hatten, gestand Tom, dass er nicht nur begeistert war.
»Was hab ich mir da nur eingebrockt? Ich habe doch keine Ahnung von Führung! Ich hab’s gerade mal geschafft, mich selbst ein bisschen in Form zu bringen. Du weißt doch besser Bescheid, du hast doch mal an der Uni einen Führungskurs belegt. Was soll ich denn jetzt tun?« 34a
Tim lachte. »Es ist wahrscheinlich zu spät, um dir zu sagen, dass du dir keine Gedanken machen sollst. Du hast guten Grund, besorgt zu sein. Wer hätte denn vor einem Jahr gedacht, dass du es so weit bringen würdest!«
»Danke für den Zuspruch, Tim«, antwortete Tom sarkastisch. »Aber du hast den ganzen Führungskram wahrscheinlich sowieso längst vergessen.«
Tim nahm die Herausforderung an. Er stellte sein Bier ab und dachte nach. »Tut mir leid. Du hast Recht. Du musst was über Führung wissen. Für die meisten Angestellten ist die Beziehung zu ihrem Chef das wichtigste Thema. Wenn du Mist baust, sind deine Mitarbeiter unzufriedener, als wenn du ihnen das Gehalt kürzt. Du kannst eine Menge Leute gründlich demotivieren.« 1
»Genau deswegen hab ich dich ja gefragt«, sagte Tom.
»Wenn ich kann, helfe ich dir gern«, erwiderte Tim. »Ich habe mal durch das Buch geblättert, das du mir geliehen hast. Die wichtigsten Führungstechniken stehen da schon drin, nur dass du sie jetzt nicht auf dich, sondern auf andere anwendest. Du kannst andere genauso führen wie dich selbst.«
»Gut. Ich habe nämlich keine Lust, noch mal an die Uni zu gehen«, meinte Tom. »Dann mal los.«
Tim blickte an die Decke und versuchte, sich an Details zu erinnern. »Also. Es gibt zwei grundlegende Führungsstile: einen
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