Der Zauderberg
Weil du das so gut beherrschst, kannst du es ja mal mit der Strategie ›Spiele und Ziele‹ probieren. Du kennst die Geschichte mit den Maurern, oder?«
»Mh, vage. Hilf mir auf die Sprünge«, bat Tom, der nicht zugeben wollte, dass er noch nie von der Geschichte gehört hatte.
»Sie ist kurz. Zwei Maurer werden gefragt, was sie tun. Der erste antwortet: ›Ich baue eine Mauer.‹ Der zweite denkt nach und sagt: ›Ich baue einen Dom.‹ Verstehst du? Du musst das große Ganze vermitteln und den Leuten klarmachen, warum ihre Arbeit wichtig ist. Wenn du das schaffst …«
»… werden alle meine Träume wahr«, unterbrach ihn Tom. »Okay, ich verstehe, du zeigst mir das große Ganze. Kapiert. Rechtzeitige Anerkennung und das große Ganze – kommunizieren, warum die Arbeit wichtig ist.«
Tom plante jeden Tag eine Stunde ein, um eine Runde durchs Büro zu drehen und nach seinen Mitarbeitern zu sehen. Wenn ihm ihre Arbeit gefiel, dann sagte er ihnen das und manchmal auch ein bisschen mehr. Als eine seiner Mitarbeiterinnen einmal eine gute Präsentation hielt, lud er sie spontan zum Mittagessen ein.
Etwas schwerer fiel es ihm, das große Ganze zu vermitteln. Jeder Mitarbeiter musste die Geschichte aus einer anderen Sicht hören. Die einen wollten wissen, wie ihre derzeitige Tätigkeit sie in ihrer Karriere voranbrachte. Anderen half es, wenn sie ihre Aufgabe als Zeichen ihrer Verantwortung auffassten. Wieder andere mussten hören, welche Auswirkungen ihre Arbeit auf ihre Kollegen hatte. Es war ein bisschen wie ein Ratespiel, für jeden den richtigen Blickwinkel zu finden, aber Tom lag meist ganz gut mit seiner Einschätzung. Einem besonders schwierigen Mitarbeiter erklärte er es so: »Wenn Sie mit Ihrer Arbeit fertig sind, geben Sie sie an Suzanne weiter. Wenn Sie lange brauchen, muss sie lange bleiben, und das bedeutet, dass sie jemanden finden muss, der ihre Kinder aus dem Kindergarten abholt, ihnen das Essen macht und sie ins Bett bringt. Wenn Sie früh fertig sind, helfen Sie Suzanne. Wenn Sie lange brauchen, machen Sie ihr das Leben unnötig schwer.« Von da an hatte er keine Probleme mehr mit diesem Mitarbeiter.
Außerdem versuchte Tom, die innere Uhr seiner Mitarbeiter zu respektieren, und führte Gleitzeit ein. In einigen Forschungsaufsätzen hatte er gelesen, dass einige Schüler eine ganze Note besser wurden, wenn sie eine Stunde mehr Schlaf bekamen, und dass Unternehmen, die Gleitzeit einführten und ihre Mitarbeiter länger schlafen ließen, eine hübsche Leistungssteigerung verzeichneten. 3
Eines Abends holte Tim seinen Bruder im Büro ab, und die beiden gingen in einem ihrer Lieblingsrestaurants essen. Nachdem sie bestellt hatten, fragte Tim: »Und wie geht’s dir als Chef?«
»Super«, strahlte Tom. »Die Sache mit der Kumpelei gefällt mir!«
»Aber das war nicht mit personenorientierter Führung gemeint«, sagte Tim stirnrunzelnd.
»War ja auch nur ein Witz. Apropos personenorientiert – du hast mir nie von der aufgabenorientierten Führung erzählt.«
»Na ja, die meisten Leute bevorzugen den einen oder den anderen Führungsstil«, erwiderte Tim. »Aber die besten Führungspersönlichkeiten kombinieren die beiden. Aufgabenorientierte Führungskräfte haben ein besonderes Händchen dafür, Pläne zu machen, Aufgaben zu verteilen und Ziele vorzugeben.«
»Ah, das verstehe ich zu gut«, meinte Tom. »Ich hatte ja keine Ahnung, was für ein Problem meine Aufschieberei für andere war, bis ich selbst mit Aufschiebern zu tun hatte. Die Zielvorgaben haben mir geholfen.«
»Und genau das machen aufgabenorientierte Führungskräfte. Wenn Termine noch in weiter Zukunft liegen, dann brechen sie sie in eine Abfolge von kurzfristigen, konkreten und realistischen Zielen für ihre Mitarbeiter herunter. Du musst natürlich aufpassen, dass du nicht zu viele Ziele setzt und ins Mikromanagement verfällst. Das nennt man auch Kontrollwahn.«
»Keine Angst, dazu bin ich nicht der Typ. Aber wie viele Ziele muss ich denn setzen?«, fragte Tom.
»Dafür gibt es keine festen Regeln«, antwortete Tim. »Die meisten Leute legen sich erst dann ins Zeug, wenn die Zeit knapp wird. Deswegen musst du so viele Ziele setzen, wie es für dich praktisch ist. Zumindest musst du regelmäßige Besprechungen einführen, um zu sehen, wie die Leute vorankommen, und um neue Ziele vorzugeben. Manche Leute motivieren sich selbst und brauchen weniger Ziele, andere brauchen eine Menge.«
»Mir fallen da einige Leute ein, die
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