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Der zehnte Planet

Der zehnte Planet

Titel: Der zehnte Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Beljajew
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die Sternbilder Schwan und Adler hoben sich fast im Zenit ab. Der Regen hatte aufgehört, und eine angenehme Kühle kam vom Strand her. Im unsichern Dämmer der bekannten Sterne stieg der Gelehrte die feuchten Stufen des Eingangs hinab. Er hörte, wie Jura die Tür des Autos aufschloß.
    »Machen Sie es sich bequem«, vernahm er Juras Stimme.
    Nachdem der Gelehrte den weichen Sitz mit der Hand ertastet hatte, ließ er sich nieder und lehnte den Kopf an die Polsterung. Jura nahm den Platz des Fahrers ein. Ein winziges Lämpchen leuchtete auf, wie ein blaues Sternchen, und dieser kleine Glühwurm ermöglichte dem Gelehrten, die Kabine, das Armaturenbrett und den breiten Rücken Juras zu unterscheiden.
    Der Gelehrte wiederholte in seinem Gedächtnis die kleinsten Details des Gesprächs über den Zehnten. Im Geiste erwog er, welche weitern Schlüsse man ziehen müßte, wenn sich auch weitere Berechnungen Juras als exakt erweisen würden. In diesem Augenblick erinnerte er sich daran, daß er Tatjana Jurjewna von seinem Weggehen nicht hatte wissen lassen, nicht zu Hause angerufen sowie Mantel und Hut anzuziehen vergessen hatte . . .
    »Wir fahren ab«, vernahm er Juras unternehmungslustige Stimme.
    »Nun gut«, murmelte der Gelehrte. »Nur mein Hut!«
    Aber ein schreckliches Gepfeif und Getös mit erschütternden Akkorden brach los, daß Jura ganz gewiß die Klage um den vergessenen Hut nicht hören konnte.
    Dem Gelehrten schien, als ob der Sitz unter ihm herausgezogen würde. Er schloß fest die Augen, weniger vor Schreck als vor Überraschung.
VI
    Die erschütternde Jazzmusik verstummte ebenso plötzlich, wie sie angefangen hatte. Der Gelehrte öffnete wieder die Augen.
    Durch die Fenster der Kabine strahlte ein heller, klarer Tag. Eine erstaunlich dunkelblaue, fast violette Ferne, mit sonderbar schönen Sternen besät, dehnte sich unendlich weit aus.
    Der Gelehrte blinkerte mit den Augen und stammelte nur:
    »Wo sind wir?«
    Sofort sah er das lächelnde Gesicht Juras, der sich umgewandt hatte:
    »Mit Ihrer Erlaubnis — in einem Taxi, das zwischen den Planeten verkehrt.«
    »Wohin?«
    »Auf den Zehnten.«
    »Auf den Planeten?« fragte der überraschte Gelehrte, eine merkwürdige Leichtigkeit in seinem Körper spürend. Aber das war der letzte Anfall des Erstaunens. Er war nicht mehr imstande, gegen die offenkundigen Tatsachen zu streiten.
    Wenn alle Kalender der Welt tollkühn lügen, so waren die astronomischen Jahrbücher über allen Verdacht erhaben. Immer machten sie ehrlich ihre Angaben bis zu einer Genauigkeit von einem Tausendstel. Es war unmöglich zu leugnen, daß Jura, nur die Anziehungskraft seines Zehnten berücksichtigend, imstande war, die genaue Lage dieses verfluchten Merkur glänzend auszurechnen. Die Ziffern der Jahrbücher bestätigten Juras Folgerungen.
    Aber zur Zeit rast Jura durch den Weltenraum mit einer Geschwindigkeit, die der Gelehrte nicht feststellen konnte. Rings umher ist Leere, und außer den unbeweglichen Sternen sieht man keinen Gegenstand, der eine Orientierung ermöglichte.
    »Auf den zehnten Planeten«, nickte Jura zufrieden.
    »Daß er wirklich vorhanden ist, will ich Ihnen auf eine überzeugendere Art beweisen als mathematisch. Es gibt doch auch Möglichkeiten, auf dem algebraischen Wege zu beweisen, daß zwei mal zwei nicht vier, sondern fünf ist oder die Summe der Winkel in einem Dreieck nicht zwei Rechtecke ergibt . . .«
    »Die arithmetischen Trugschlüsse kann ich nicht leiden«, der Gelehrte verzog das Gesicht. »Die Unterhaltsamkeit ist in unserer Situation nicht unbedingt notwendig . . .«
    »Völlig einverstanden, Michail Sergejewitsch; Ich nehme an, daß wir nämlich das Mittel der persönlichen Bekanntschaft anwenden müssen. Wir statten dem Zehnten einen Besuch ab, und seine Realität wird unwiderlegbar bewiesen . . .«
    »Sie sollten eigentlich einen Photoapparat mitnehmen oder, noch besser, eine Taschenfilmkamera mit ausreichendem Filmvorrat«, bemerkte der Gelehrte. »Einen unbefangeneren Zeugen als das Photo gibt es nicht . . .«
    »Um die Wahrheit zu sagen, ich habe daran gedacht«, meinte Jura lebhaft, für eine Minute von der Umstellung irgendwelcher Hebel an dem Armaturenbrett abgelenkt. »Aber ich muß gestehen, daß ich dem Photo nicht besonders traue. Man kann eine kleine Pfütze auf der Landstraße zwischen zwei schmutzigen Spurenganz aus der Nähe aufnehmen, dann die Aufnahme vergrößern und behaupten, daß es sich um eine Berglandschaft mit einem tiefen

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