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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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gewesen waren. Dass mir der Arm wehgetan hatte. Und dann der Alptraum mit dem Blut …
    Onkel Hank beobachtete mich mit seinem Sheriffblick. »Immer noch keine Idee?«
    Ich schwieg.
    Schließlich sagte der Direktor: »Dann hast du sicher nichts dagegen, dass wir einen Blick in deinen Spind werfen, nicht wahr?«
    Ich schüttelte den Kopf. Offen gestanden war ich froh über diesen Vorschlag. Wer ist schon so bescheuert und versteckt Sprühdosen in seinem Spind oder seinem Schulrucksack?
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    Dreimal darfst du raten.
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    In meinem Rucksack lagen zwei Sprühdosen, die mir am Morgen nicht aufgefallen waren, obwohl ich in meinen Schulsachen gekramt hatte. Natürlich war die Farbe an den Dosen noch frisch.
    »Die hab ich da nicht reingetan!« Ich sah Onkel Hank an. »Die sind nicht von mir.«
    »Wer hat sonst noch Zugang zu deinem Spind?«, wollte der Direktor wissen. »Wer würde so etwas machen?«
    Alle. Keiner. »Keine Ahnung! Kannst du die Dosen nicht auf Fingerabdrücke untersuchen, Onkel Hank? So was geht doch, oder?«
    Mein Onkel legte mir eine bleischwere Hand auf die Schulter. »Zeig uns bitte deine Hände, Christian.« Er betrachtete die rostroten Halbmonde unter meinen Nägeln. Dann holte er ein kleines Taschenmesser hervor und kratzte ein bisschen von dem Zeug heraus. Wir begriffen beide gleichzeitig, was das für Krümel auf der Messerklinge waren. Ich war sprachlos und Onkel Hank sah mich nur bekümmert an.
    »Wir gehen dann mal«, wandte er sich an den Direktor.
    + + +
    Onkel Hank saß am Steuer, ich musste hinten sitzen. Wir sprachen nicht miteinander.
    Wir fuhren durch Hügel und Felder nach Südwesten. DerMais war schon vor zwei Wochen gemäht und die Stängel zurückgeschnitten worden. Jetzt sah man nur noch braune Stoppeln. Nach sieben Meilen bog Onkel Hank links auf einen Feldweg ab, auf dem wir noch ein ganzes Stück weiterrumpelten und eine Staubfahne hinter uns herzogen. In dieser Gegend lagen die Felder brach, das Unkraut hatte sich ausgebreitet.
    Ich war ganz bestimmt noch nie hier gewesen, aber mich überkam ein seltsames Déjà-vu-Gefühl. Dann fing auch das sonderbare Raunen wieder an, nachdem es stundenlang Ruhe gegeben hatte.
    Die Scheune stand rechts von uns auf einer Anhöhe. Das Gebäude mochte früher weiß gewesen sein, aber inzwischen war die Ostwand grau verwittert und die schwarz gestrichenen Fensterläden blätterten vor sich hin. Das ganze Gebäude war vielleicht dreißig Meter lang und fünfzehn Meter breit. Eine unkrautüberwucherte Rampe führte außen herum und wahrscheinlich zum Heuboden hoch. Die Fenster glichen leeren Augenhöhlen, die Scheiben waren längst zerbrochen.
    Noch weiter rechts erkannte man die Überreste eines Wohnhauses. Nur noch das Fundament und ein Schutthaufen, wo früher der Schornstein gestanden hatte, waren davon erhalten. Als wir die Anhöhe hochfuhren, flog ein Krähenschwarm aus dem kahlen Geäst einer Trauerweide auf, die sich über einen verfallenen Brunnen neigte.
    Ich sah wieder in Richtung Scheune – und blickte direkt auf die Nordwestseite. Mir drehte sich der Magen um.
    Unter eine leere Fensterhöhle waren mit großen roten Buchstaben drei Worte gesprüht:
    ICH SEHE DICH
    Die Schrift wurde von zwei Hakenkreuzen eingerahmt. Darüber leuchtete ein blutrotes Augenpaar, und die Augen …
    Mir lief es eiskalt den Rücken herunter.
    Das waren nicht die Augen meiner Mutter. Es waren auch nicht meine eigenen.
    Es waren die Augen von einem Wolf.

II
    »Herrgott, Hank, alle haben dich und Jean bewundert, als ihr damals den Sohn deiner Schwester aufgenommen habt.« Mr Eisenmann drehte sich zu mir um und blickte mich finster an. Aus seinem Triefauge, dem linken, rannen Tränen. »Hoffentlich weißt du dieses Opfer auch zu würdigen.«
    »Natürlich«, entgegnete ich. Wir waren in Onkel Hanks Büro gegangen. Mr Eisenmann saß im einzigen bequemen Sessel und ich auf dem Alu-Klappstuhl aus dem Besprechungsraum. Onkel Hank hockte an seinem Schreibtisch, und seine Miene war wie aus Granit. Mein Kopf fühlte sich an, als würden tausend Messer auf mein Hirn einstechen, außerdem war mir kotzübel. »Ich war’s trotzdem nicht.«
    Mr Eisenmann machte eine unwirsche Handbewegung. Seine Finger waren mager und knotig und sein Gesicht erinnerte an die Wasserspeierfratzen an mittelalterlichen Kirchen. Es war von Narben entstellt, die von einem Unfall vor sechzig Jahren herrührten. Eine Narbe verlief schräg durch das äußere Drittel seiner linken

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