Der Zimmerspringbrunnen
Auswertung, Erfahrungsaustausch, Brainstorming. Strüver (mittelgroß, rötliches, vorne gelichtetes Haar, hinten zu einem Zopf zusammengebunden) wirft seine Seidenjacke lässig über eine Stuhllehne, kommt gleich zur Sache: »Na, dann wollen wir mal. – Herr Nöstich, Sie sind bitte mal der Kunde!«
»War ich doch schon letztes Jahr«, will Nöstich einwenden, doch Strüver ungerührt: »Dann wissen Sie ja, wie es geht.« Nöstich, die Augenbrauen hochgezogen, steht auf und geht langsam nach vorn. Strüver sieht in seiner Liste nach und bestimmt einen Herrn Filzbach (Stuttgart), der sofort rot wird, zum Firmenvertreter. »Alles klar«, sagt der Angesprochene tapfer, scheint aber betroffen zu sein.
»Bitte«, sagt Strüver, jetzt Regisseur. Er hat sich in seinem Stuhl zurückgelehnt, die Beine übereinandergeschlagen, die Arme verschränkt und spitzt erwartungsvoll den Mund. Nöstich steckt seine Brille weg, schiebt die Haare mit der Hand nach hinten. Ohne Brille sehen seine Augen gläsern aus. Er sieht sich um. Sein Blick fällt auf Strüver. Da verschränkt auch Nöstich die Arme. Gelangweilt sieht er aus dem Fenster. Einige Male wechselt er noch Stand- und Spielbein, dann hat er seine Position gefunden.
Endlich, nachdem er erst noch seinen Musterkofferpräpariert hat, ist auch Filzbach (Stuttgart) soweit. Mit weit ausholenden Schritten geht er nach vorn, stoppt aber plötzlich – wie vor einer unsichtbaren Wand. Er überprüft den Sitz seiner Krawatte, dann bohrt sich sein rechter Zeigefinger durch die Luft … Er hält aber noch einmal inne und beugt sich weit vor. Angestrengt scheint er etwas zu entziffern, und zwar dort, wohin gerade sein Zeigefinger unterwegs gewesen ist …
Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, sehe zu Strüver hinüber. Der scheint aber einverstanden zu sein.
Filzbach (Stuttgart) hat sich nun wieder aufgerichtet und sein Zeigefinger erreicht das Ziel: »Ding-dong«, macht es jetzt aus Filzbachs Mund …
»Wenn ich hier mal kurz unterbrechen darf«, mischt sich Strüver ein. »Herr Nöstich – Sie warten wohl gerade auf unseren Vertreter?«
»Nö«, gibt Herr Nöstich offen zu.
»Es sah aber so aus«, sagt Strüver streng. Dann, ermahnend: »Sie sind also gerade beschäftigt, Herr Nöstich.«
Nöstich nickt.
»Na, was denn nun?« drängt Strüver, er blickt auf die Uhr. Da fuhrwerkt Nöstich plötzlich, für alle ziemlich unerwartet, mit geballter Faust vor seinem Bauch herum, immer hin und her.
Strüver sieht ihn ratlos an.
»Ich bügele …«, gibt Nöstich bekannt.
»Ach so«, sagt Strüver, »ich hatte mich nur gewundert, warum Sie dabei so in der Weltgeschichte herumgucken.«
»Ich sehe dabei fern.«
»Na gut – Sie bügeln also und sehen dabei fern. – Plötzlich …«, gibt Strüver jetzt, mit rascher Kopfbewegung, an Filzbach (Stuttgart) weiter, »plötzlich …«
»Ding-dong«, macht Filzbach (Stuttgart) erwartungsgemäß.
Nöstich stellt das Bügeleisen ab und schreitet zur »Tür«. Er öffnet sie, aber nur halb – was Strüver mit einem leichten Nicken quittiert.
»Guten Tag, Herr Nöstich«, beginnt nun Filzbach (Stuttgart), »das ist aber schön, daß ich Sie antreffe.« Er sagt das alles sehr akzentuiert, überdeutlich. (Deswegen vielleicht wirkt es nicht ganz echt.)
Filzbachs Vertreterhand schiebt sich Nöstich entgegen. Der will gerade zugreifen – da meldet sich wieder Strüver: »Kann es sein, daß es riecht? Herr Nöstich – Ihr Bügeleisen! Kann da nichts anbrennen?«
»O ja, Mensch!« Nöstich rennt zurück ins Zimmer.
Unschlüssig steht Filzbach (Stuttgart) zwischen Tür und Angel. Dann traut er sich ein Stück in die Wohnung hinein. (Vielleicht will er helfen?) Strüver schließt die Augen, verzweifeltes Kopfschütteln.
Da kommt Nöstich wieder.
Halblaut gibt Strüver weitere Regieanweisungen: »Gut, das ist zwar nicht schön, aber das gibt es ja. Unserem Kunden paßt der Termin heute nicht. Das Bügeleisen hat gerade das Wohnzimmer in Brand gesetzt, eine Familienfeier ist im Gange oder irgendeine andere Katastrophe. –
Was nun?!«
»Na, ich frage ihn, ob ich nicht besser zu einem anderen Zeitpunkt …«
»Na – fragen Sie das mal, Herr Filzbach. Aber, bitte: Sie sprechen mit Ihrem Kunden, nicht mit mir. Ich schaue nur zu. – Und verlassen Sie bitte wieder unauffällig die Wohnung …«
Filzbach tritt rasch ein paar Schritte zurück.
»Herr Nöstich, wann würde es Ihnen denn mal passen?« fragt nun also
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