Der Zug war pünktlich
Liebe. Manchmal, zwischen den sanften, spielerischen Wellen, läßt sie das The-ma wie eine steinerne Klippe aufsteigen.
Es ist jetzt fast dunkel geworden, es wird kühl, aber es ist ihm alles gleichgültig; dieses Spiel ist so schön, daß er nicht aufstehen würde, um das Fenster zu schließen; selbst wenn dreißig Grad Kälte dort aus den Lemberger Gärten auf ihn zukämen, er würde nicht aufstehen … Vielleicht ist es ein Traum, daß neunzehnhundertdreiundvierzig ist und daß ich im grauen Rock der Armee Hitlers hier in einem Lemberger Bordell sitze; vielleicht ist das ein Traum, vielleicht bin ich im siebzehnten Jahrhundert geboren oder im achtzehnten, und ich sitze im Salon meiner Geliebten, und sie spielt auf dem Cembalo nur für mich, alle Musik der Welt nur für mich … es ist ein Schloß irgendwo in Frankreich oder in Westdeutschland, und ich höre Cembalo in einem Salon des achtzehnten Jahrhunderts, gespielt von einer, die mich liebt, die nur für mich spielt, nur für mich. Die ganze Welt gehört mir in diesem Dämmer; gleich werden die Kerzen angezündet, wir werden keinen Diener rufen … keinen Diener … ich werde die Kerzen mit einem Fidibus anzünden, mit meinem Soldbuch am Kamin werde ich den Fidibus anzünden. Nein, es brennt kein Kamin, ich werde selbst den Kamin anzünden, feucht und kühl kommt es aus dem Garten, aus dem Schloßpark, ich werde an dem Kamin knien, werde das Holz liebevoll 110
aufschichten, werde mein ganzes Soldbuch zerknüllen und werde anzünden mit den Streichhölzern, die sie aufgeschrieben hat. Diese Streichhölzer werden mit der Lemberger Hypothek bezahlt. Ich werde zu ihren Füßen knien, denn sie wird mit liebevoller Ungeduld darauf warten, daß das Feuer im Kamin entzündet wird. Ihre Füße sind kalt geworden am Cembalo; lange, lange hat sie bei dieser feuchten Kühle am offenen Fenster gesessen und für mich gespielt, meine Schwester, sie hat so schön gespielt, daß ich nicht aufstehen mochte, um das Fenster zu schließen …
und ich werde ein schönes helles Feuer machen, und keinen Diener werden wir brauchen, nur keinen Diener! Es ist gut, daß die Tür verschlossen ist …
Neunzehnhundertdreiundvierzig. Schreckliches Jahrhundert; welche scheußlichen Kleider werden die Männer tragen; sie werden den Krieg verherrlichen und schmutz-farbene Kleider im Krieg tragen, wir, wir haben den Krieg nicht verherrlicht, er war ein ehrliches Handwerk, bei dem man manchmal um seinen guten Lohn betrogen wurde; und wir haben bei diesem Handwerk bunte Kleider getragen, so wie ein Arzt bunte Kleider trägt und ein Bürger-meister … und eine Dirne; sie, sie werden abscheuliche Kleider tragen und werden den Krieg verherrlichen und ihn für ihre Vaterländer schlagen: scheußliches Jahrhundert; neunzehnhundertdreiundvierzig …
Wir haben die ganze Nacht, die ganze Nacht. Eben erst ist der Abenddämmer in den Garten gesunken, die Tür ist verschlossen und nichts kann uns stören; das ganze Schloß gehört uns; Wein und Kerzen und ein Cembalo! Achtund-einhalb Scheine ohne die Streichhölzer; Millionen in Nikopol! Nikopol! Nichts! … Kischinew … Nichts … Czernowitz? Nichts! … Kolomea? Nichts! … Stanislau?
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Nichts! Stryj … Stryj … dieser schreckliche Name, der wie ein Strich ist, ein blutiger Strich an meinem Hals! In Stryj werde ich ermordet. Jeder Tod ist ein Mord, jeder Tod im Kriege ist ein Mord, für den irgendeiner verant-wortlich ist. In Stryj!
Ich tanze mit dir in den Himmel hinein, in den siebenten Himmel der Liebe!
Es ist gar kein Traum, der zu Ende geht mit dem letzten Ton dieser melodischen Paraphrase, es zerreißt nur ein schwaches Gespinst, das über ihn geworfen war, und jetzt erst, am offenen Fenster, in der Kühle des Dämmers spürt er, daß er geweint hat. Er hat das nicht gewußt und nicht gefühlt, aber sein Gesicht ist naß, und die sanften, sehr kleinen Hände von Olina trocknen es, die kleinen Ströme sind über sein Gesicht gelaufen und haben sich an dem geschlossenen Kragen seiner Feldbluse gesammelt und fast gestaut; sie öffnet den Haken und trocknet mit einem Tuch seinen Hals. Sie trocknet die Wangen und die Au-genhöhlen, und er ist froh, daß sie nichts sagt …
Eine seltsam nüchterne Heiterkeit erfüllt ihn. Das Mädchen knipst Licht an, schließt das Fenster mit abgewende-tem Gesicht, und es ist möglich, daß auch sie geweint hat.
Diese keusche Freude habe ich noch nie gekannt, denkt er, während sie zum Schrank geht.
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