Der zugeteilte Rentner (German Edition)
freie Platz ist für Sie reserviert. Danke für ihren Anruf. Mit diesem Service-Call spenden Sie automatisch fünf Euro in die Rentenkasse.“
Eine beruhigende, fast tranceartige Musik setzte ein: lange zarte Töne, vermutlich ein Streicher-Quartett im Hintergrund, das Rauschen eines Gebirgsbaches. Dann erklang die Stimme vom Band wieder: „Alle Leitungen sind derzeit belegt, bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal. Auf Wiederhören.“
Clara atmete langsam aus, legte den Hörer beiseite und rieb sich den Nasenrücken. Maximilian saß auf seinem Koffer und spielte mit seinen Fingern, vielmehr spielte er mit einem Ring, den er immer wieder drehte, so als wäre es ein Wunschring, der irgendetwas verzaubern könnte.
„Passen Sie auf: Sie gehen jetzt dorthin und sagen denen, dass sie ein Fehler gemacht haben. O. k.?“
„Und wenn die mich wieder zu ihnen schicken? Dann darf ich dann bei ihnen wohnen?“
Maximilian grinste wie Mephisto höchstpersönlich, seine Lachfalten verzerrten sein Gesicht, die Augen leuchteten, die weißen Haare auf seinem Kopf richteten sich auf.
„Ich denke, es ist besser, wenn wir zusammen dort hin gehen.“
„Es ist Freitag. Alle Ämter schließen um zwei.“
„Dann beeilen wir uns.“
„Ich warte einfach hier!“
„Sie kommen mit!“
Ständige Arbeiten unter Tage
Die Fahrt durch die Innenstadt dauerte eine Ewigkeit. Polizei- und Feuerwehrwagen quälten sich durch den Stau, den Sturm und Regen verursachten. Wie Honig schleppte sich der Regen an den Fassaden herunter; Schilder von Gesundheits-, Anti-Aging- und Bio-Geschäften glitzernden im Nass. Vorbeihuschende Autos warfen Wasserfontänen gegen die Scheiben der Straßenbahn. Ein Konzert aus Sirenen und Hupgeräuschen begleitete die Schreie eines Mannes, der einen anderen beschimpfte. Alles wirkte wie in Zeitlupe, die Stadt schleppte sich dahin, selbst die Bäume ließen ihre Arme hängen, kaum noch Kraft sich aufzuraffen, die Blätter zogen alles nach unten. Die Straßenbahnen und Busse, die sich durch die Staus schoben, erstickten vor Menschen. Die Stadt stank nach nassem Hund: in den U-Bahnen, in den Geschäften, in den Wohnhäusern – einfach überall.
Clara und Maximilian warteten, bis sie eine Straßenbahn fanden, die ihnen Platz bot. Aber auch hier gab es kaum freie Sitze, überall standen die Leute und eine Haltestelle später stürmte ein Dutzend Beamter herein. Clara explodierte innerlich. Sie hasste es, mit so vielen Menschen in einem engen Raum eingepfercht zu sein. Sie redeten und telefonierten so laut, dass sie alles mitbekam, ob sie wollte oder nicht. Zum Glück hörten die meisten Fahrgäste Musik. Die gleiche Mimik, die gleiche Körperhaltung, die gleichen Kopfhörer verbanden sie miteinander. Wie an ein riesiges Netzwerk angeschlossen wirkten sie. Die Kabel versorgten sie mit lebenswichtiger Energie. Hätte man die Stöpsel aus den Ohren gezogen, wären sie vermutlich in sich zusammengesackt. Nur das Kabel bedeutete Leben.
Clara überprüfte den Sitz ihrer Lederhandschuhe. Bloß nichts anfassen. Straßenbahnen verhielten sich wie lebende Bakterien – ein Bazillus kam, ein anderer ging; eigentlich müsste man die Bahn vor jedem Einstieg desinfizieren.
Dann erschienen die Kontrolleure. Sieben Männer, alle älter als Maximilian, sie mussten erst ihre Brillen aufsetzen, um die Fahrkarten lesen zu können. Sie arbeiteten in einem der vielen 60er-Jobs – Arbeit, die hauptsächlich von Rentnern gemacht wurde, weil sie schlecht bezahlt wurde. Dazu zählten Berufe wie Busfahrer, Straßenbahnfahrer, Reinigungspersonal, Ordnungshüter und viele andere Tätigkeiten im Öffentlichen Dienst.
Maximilian kümmerte das nicht. Clara hatte ihm nach langer Diskussion eine Fahrkarte spendiert. Außerdem erkämpfte er sich einen Behindertensitzplatz auf dem er sofort einschlief. Die Menschen in der Bahn unterhielten sich, stritten miteinander, pöbelten herum und einige brüllten – doch Maximilian störte sich nicht einmal daran, wenn sie ihn anrempelten. Er träumte in aller Ruhe, ließ seinen Mund etwas offen stehen und lehnte mit seinem Kopf an der Fensterscheibe. Als Clara ihn daraufhin anstieß und ihm mitteilte, dass er eingeschlafen sei, bestritt er das. Er hätte nur nachgedacht, meinte er. Dann rieb er sich die Augen und keine drei Sekunden später übernahm das Traumreich wieder die Kontrolle.
Clara freute sich, als sie die Auskunfts- und Beratungsstelle der Deutschen Rentenversicherung
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