Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
zurückgelassen hatten, gestand sich jedoch ein, dass sie angesichts des labyrinthischen Wirrwarrs aus Felsen, Gassen und Geröllhalden die Orientierung verloren hatte.
    Da durchlief sie ein eiskalter Schauder. Bollis’ Vermutung war richtig gewesen. Rechts von ihr, weit vom Rand der Arena entfernt, stieg eine schwarze Rauchsäule zwischen den Trümmern empor.
    Zwerge lebten gewiss keine mehr in dieser Gegend. Vielleicht weiter im Norden, aber bestimmt nicht in der Stadt. Ob dieses Land noch andere Bewohner hatte, wusste Grimma nicht, doch ihr Gefühl sagte ihr, dass nur Nordlinge das Feuer dort unten entzündet haben konnten. Sie konnte die Anwesenheit der feindlichen Krieger spüren wie einen schlechten Odem, der die klare Winterluft durchzog.
    »Sieh selbst«, sagte sie atemlos und machte Platz, sodass auch Bollis hinausschauen konnte.
    »Das sind sie«, hörte sie ihn über das Säuseln des Windes sagen. »Das müssen sie sein!«
    »Was denkst du, wie weit sie entfernt sind?«
    »Sieben, acht Speerwürfe, nicht weiter.«
    Das entsprach ihrer eigenen Schätzung. »Wir müssen zurück zu den anderen.«
    Bollis zog den Oberkörper zurück ins Innere des Turms. Eiskristalle glitzerten in seinem schwarzen Bart. »Das ist ungefähr die Richtung, aus der wir gekommen sind, nicht wahr?«
    Grimma hob die Schultern. »Möglich, dass sie nicht allzu weit von unserem Lager entfernt sind.«
    Bollis’ Augen verrieten sein Erschrecken, doch er sagte nichts. Eilig stürmten sie die Stufen hinunter, sprangen auf die Geröllrampe, zwängten sich durch den Eingangsspalt und liefen hinaus ins Freie. Sie hielten einen Moment an, um sich erneut zu orientieren, und beide suchten mit verkniffenen Augen den Himmel ab, um über den Rändern der Ruinen die Rauchfahne wiederzufinden.
    »Dort!«, rief Grimma aus und deutete über die Trümmerlandschaft.
    Bollis folgte ihrem Blick und nickte düster. »Ja«, presste er hervor, »das sind sie. Ich verwette meinen Sold für ein Jahr, dass das Nordlinge sind.«
    »Hoffen wir, dass du an einem Stück zurückkehrst, um noch Freude an deinem Sold zu haben«, murmelte Grimma und rannte los.
    Sie benutzten denselben Weg, auf dem sie hergekommen waren. Einen Augenblick lang hoffte Grimma, dass ihre Gefährten das Feuer entzündet hatten – aber nein, Egil würde niemals gegen ihren Befehl verstoßen.
    Beide hielten ihre Äxte fest umklammert. Die Kälte der Griffe schien sogar durch ihre Handschuhe zu dringen, und Grimma fragte sich, ob es nicht vielleicht ihr Herz war, das allmählich zu Eis erstarrte. Seit sie den Rauch zum ersten Mal entdeckt hatten, war der frostige Schauder nicht mehr aus ihren Gliedern gewichen. Eine Mischung aus angstvoller Vorahnung und der kühlen Gewissheit, dass ein Kampf nicht mehr abzuwenden war, hatte sich ihrer bemächtigt. Sie sah Bollis’ starren Zügen an, dass es ihm ähnlich erging.
    Sie stolperten, sprangen und kletterten vorwärts, immer weiter, so schnell sie nur konnten. Anders als auf dem Hinweg schien sich die Strecke zu dehnen wie eine Bogensehne, sie erschien Grimma jetzt länger und beschwerlicher.
    »Sollten wir nicht erst die Feuerstelle auskundschaften, bevor wir zu den anderen zurückkehren?«, fragte Bollis.
    Grimma schüttelte im Laufen den Kopf. »Wir müssen sie warnen, dann können wir weitersehen. Ich will nicht, dass uns die Nordlinge überwältigen, ohne dass Egil weiß, wo er uns suchen muss.«
    Bollis zog eine Grimasse. »Wenn uns die Nordlinge überwältigen, wird es nicht mehr nötig sein, nach uns zu suchen.«
    Sie gab keine Antwort. Er hatte recht, natürlich. Was für eine dumme Hoffnung, ihre Feinde könnten sie gefangennehmen und am Leben lassen. Weshalb kam sie auf solche Gedanken? Sie war eine Kriegerin, und sie wusste, wie man mit Ehre und Anstand starb. Früher wäre es ihr nie in den Sinn gekommen, dass ein Gegner sie schlug, ohne sie zu töten; lieber wäre sie in ein offenes Schwert gelaufen, als mit solch einer Schande weiterzuleben. Was brachte sie heute dazu, anders darüber zu denken? Wer brachte sie dazu? Liebe Güte, dachte sie, du bist nicht mehr die alte Grimma! Warum nur hatte Styrmir so gelächelt? Und was gab es dabei für die anderen zu flüstern?
    Sie verdrängte die Antwort, auch wenn es ihr von Tag zu Tag schwerer fiel. Styrmir der Bartlose! Ausgerechnet ein Berater des Königs! Einer, der kaum wusste, an welchem Ende man eine Axt hielt!
    Aber es gab anderes, über das sie nachdenken musste. Lebenswichtiges.

Weitere Kostenlose Bücher