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Verlangen

Titel: Verlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Quick
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Prolog
    Die Standuhr schlug Mitternacht. Es war ein Totengeläut. Das wunderschöne, altmodische, entsetzlich schwere Kleid, das ihr nicht richtig paßte, weil es für eine andere Frau geschneidert worden war, behinderte ihre panische Flucht den Gang hinab. Der feine Wollstoff schlang sich um ihre Beine und drohte, sie bei jedem verzweifelten Schritt zu Fall zu bringen. Sie schürzte die Röcke höher und höher, fast bis an die Knie, und riskierte einen flüchtigen Blick über die Schulter.
    Er kam näher, hetzte sie so, wie ein Jagdhund ein Reh hetzen würde, das verletzt war. Sein einst dämonisch schönes Gesicht, dieses Gesicht, das eine unschuldige, vertrauensselige Frau erst in die Ehe und dann ins Verderben gelockt hatte, war jetzt eine Maske aus Angst und mörderischer, rasender Wut. Mit wilden, hervortretenden Augen und wirrem Haar verfolgte er sie. Das Messer in seiner Hand würde schon bald an ihrem Halse sein.
    »Verteufeltes Weib!« Das Echo seines Wutschreis donnerte den oberen Gang entlang. Das Licht einer flackernden Kerze spiegelte sich auf der gleißenden Klinge, die er umklammerte. »Du bist tot. Warum kannst du mir nicht meinen Frieden lassen? Ich schwöre, ich werde dich zurück in die Hölle schicken, wohin du gehörst. Und dieses Mal werde ich sichergehen, daß die Tat richtig vollbracht wird. Höre mich, verfluchtes Schreckgespenst. Dieses Mal werde ich sichergehen .«
    Sie wollte schreien und konnte nicht. Sie konnte nur um ihr Leben rennen.
    »Ich werde dein Blut durch meine Finger rinnen sehen, bis kein Tropfen mehr in dir ist«, schrie er aus nächster Nähe.
    »Dieses Mal wirst du nicht wieder zum Leben erwachen. Du hast mir genug Ärger bereitet.«
    Inzwischen war sie am oberen Ende der Treppe angelangt, wo sie nach Luft rang. Furcht riß an ihrem Innersten. Sie hielt die schweren Röcke noch höher und stürzte die Treppe hinab, eine Hand am Geländer, um nicht zu Fall zu kommen. Es wäre doch zu bittere Ironie, stürbe sie an einem gebrochenen Genick statt an einer aufgeschlitzten Kehle.
    Er war so nah, allzu nah. Sie wußte, daß sie kaum eine Chance besaß, es sicher zurück zu schaffen. Dieses Mal war sie zu weit gegangen, hatte sie zuviel gewagt. Sie hatte die Rolle eines Geistes gespielt, und nun wurde sie wahrscheinlich wirklich zu einem. Er würde über ihr sein, bevor sie den Fuß der Treppe erreichte.
    Endlich hatte sie den Beweis gefunden, nach dem sie gesucht hatte. Falls sie am Leben bliebe, erführe sie Gerechtigkeit für ihre arme Mutter. Doch schnell wurde deutlich, daß ihre Nachforschungen sie das Leben kosten würden.
    Bald würde sie seine Hände spüren, nach ihr greifend in einer gräßlichen Parodie auf die lüsterne Umarmung, mit der er sie in jungen Jahren bedroht hatte. Dann würde sie das Messer spüren.
    Das Messer.
    Großer Gott, das Messer.
    Sie hatte die Hälfte der Treppe hinter sich gebracht, als der drohende Schrei ihres Verfolgers die Luft zerriß.
    Entsetzt sah sie sich um und erkannte, daß für den Rest ihres Lebens Mitternacht nie mehr dasselbe für sie sein würde. Mitternacht, das würde für sie Alptraum bedeuten.

1
    Victoria Claire Huntington wußte immer, wann ein Mann versuchte, sich an sie heranzupirschen. Sie hatte nicht das reife Alter von vierundzwanzig erreicht, ohne zu lernen, woran sie die raffinierten Mitgiftjäger der besseren Gesellschaft erkannte. Reiche Erbinnen waren schließlich Freiwild.
    Die Tatsache, daß sie noch unverheiratet und Herrin über ihr eigenes beträchtliches Erbe war, stellte einen Beweis dar für ihr Talent, sich den Ansinnen der aalglatten, betrügerischen Opportunisten, die in ihrer Welt nach Reichtum trachteten, zu entziehen. Victoria hatte vor langer Zeit beschlossen, niemals das Opfer eines solchen oberflächlichen Charmes zu werden.
    Doch Lucas Mallory Colebrook, der neue Graf von Stonevale, war anders. Er mochte zwar ein Opportunist sein, doch war bestimmt nichts Aalglattes oder Oberflächliches an ihm. Unter all den buntgefiederten Vögeln der besseren Gesellschaft war dieser Mann ein Falke.
    Victoria begann sich zu fragen, ob eben die Eigenschaften, die sie hätten abschrecken sollen, die innere Stärke und der unbeugsame Wille, die sie bei Stonevale verspürte, sie nicht gerade zu ihm hingezogen hatten. Sie konnte nicht leugnen, daß sie von dem Mann fasziniert war, dem sie vor weniger als einer Stunde vorgestellt worden war. Der Reiz, den sie verspürte, beunruhigte sie zutiefst. Mehr noch, er war

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