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Der Zwergenkrieg

Der Zwergenkrieg

Titel: Der Zwergenkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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keiner falschen Illusion hin: Sie würden ihren Gegnern noch früh genug begegnen.
    Nachdem sie durch den Torbogen getreten waren, versank die Umgebung endgültig in einem Meer aus Schwärze. Grimma hatte immer noch ihre Feuersteine dabei, und sie fürchtete, es würde ihr bald nichts anderes übrigbleiben, als sie zu benutzen. Blind würden sie nirgendwohin gelangen, und die Annahme, dass in der Dunkelheit zumindest keine Nordlinge auf sie lauern würden, war ein schwacher Trost. Sie mussten sich beeilen. Der Nordlingführer würde ungeduldig werden. Das Risiko, dass er noch weitere Krieger herbeibeorderte, war zu groß.
    Eine vage Hoffnung glomm in Grimmas düsteren Gedanken auf. Was, wenn es gar keine weiteren Nordlinge gab, sondern nur das Dutzend, das sie gesehen hatten? Würde sich ein solcher Trupp nicht weit verteilen müssen, um eine Anlage wie diese abzusichern? Mit einzelnen Nordlingen konnten sie zu dritt fertig werden, vielleicht auch mit einer Zweiergruppe. Grimma schöpfte aus dieser Vorstellung neuen Mut. Trotzdem wagte sie nicht, ihre Hoffnung den anderen gegenüber zu erwähnen, aus der absurden Furcht heraus, Bollis und Styrmir könnten sie widerlegen. Grimma wollte daran glauben, wollte sich zumindest diese winzige Aussicht auf Erfolg gönnen.
    Im harschen Gegensatz dazu stand die undurchdringliche Finsternis, die sie wie Vorhänge umgab und schwer auf ihre Gemüter drückte. Die Vorstellung, dass irgendwo über ihnen die Leichen ihrer Gefährten verbrannten, bereitete Grimma Übelkeit, und sie spürte, vielleicht zum ersten Mal seit ihren frühen Jahren als Kriegerin, dass ihre Knie weniger standfest waren als sonst. Sie hatte Angst, und sie war ehrlich genug, sie sich einzugestehen.
    »Wir brauchen Licht«, flüsterte Bollis, nachdem sie etwa dreißig Schritte durch die Finsternis gegangen waren, immer geradeaus und ohne auf Mauern oder – den Göttern sei Dank! – auf Gruben im Boden zu stoßen. Auch hier war alles vereist, doch zumindest lag, von den Verwehungen am Eingang abgesehen, kein Schnee, was das Gehen weniger anstrengend machte. Die Schwärze machte ihnen trotz des angeborenen Zwergentalents, im Dunkeln sehen zu können, ungemein zu schaffen; die Lichtlosigkeit eines Bergwerkstollens oder einer Höhle hätte ihnen keine Schwierigkeiten bereitet, doch dies war ein gemauertes Gebäude, und aus Gründen, die nur die Götter kannten, war die Finsternis in einem künstlichen Bauwerk eine andere als jene in natürlichem Fels – zumindest für die empfindlichen Augen der Zwerge. Grimma wunderte sich, dass ihre Vorfahren überhaupt auf so menschliche Gewohnheiten wie das Aufeinandermauern gehauener Steine zurückgegriffen hatten, wo sie doch ebensogut Hohlräume ins Gebirge hätten schlagen können, so wie sie es später im Hohlen Berg getan hatten.
    »Ich glaube, da vorne wird es heller«, sagte Styrmir.
    Ein Augenblick verging, dann entgegnete Bollis: »Unsinn! Da ist nichts.«
    »Doch«, sagte Styrmir beharrlich. »Bleib stehen und schau geradeaus. Deine Augen müssen sich erst daran gewöhnen.«
    Grimma wusste nicht, ob Bollis Styrmirs Anweisungen folgte; sie selbst jedenfalls tat es. Und, tatsächlich, da war etwas. Ein leichter Schimmer nur, eine Öffnung, durch die eine mondbeschienene Steinfläche zu erkennen war. Entweder waren dort einige der Ränge eingestürzt, oder aber sie hatten den Ausgang zum Innenhof der Arena erreicht.
    »Jetzt kann ich es sehen«, sagte auch Bollis.
    »Ruhe!«, wies Grimma die beiden im Flüsterton an. »Falls das dort vorn wirklich ein Ausgang ist, werden Nordlinge in der Nähe sein.«
    Sie wagten nicht, das letzte Stück durch die Finsternis schneller zu bestreiten als die bisherige Strecke, obgleich die fahle Helligkeit sie lockte. Noch aber konnten sie nicht einmal sehen, wohin sie ihre Füße setzten. Ausgerechnet jetzt durch eine eingebrochene Kellerdecke zu stürzen hätte das sichere Ende ihrer Mission bedeutet.
    Sie erreichten die Öffnung voller Ungeduld, aber auch in der unheilvollen Erwartung eines Angriffs aus dem Hinterhalt. Der gemauerte Torbogen war kleiner als jener auf der Stadtseite, und er führte zu ihrer Enttäuschung nicht ins Herz der Arena, sondern auf einen breiten Weg, der sich im unteren Drittel der Zuschauerränge rund um die ganze Anlage schlängelte. Der Boden der Arena lag mindestens zwanzig Schritte tiefer. Grimma versuchte, einen Blick nach oben zur Ummauerung zu werfen, doch der Winkel war ungünstig, und sie konnte

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