Der Zwergenkrieg
einigem Unbehagen, dass Bollis ein Bein nachzog. Kein Wort der Beschwerde oder des Jammers kam über seine verkniffenen Lippen. In diesem Augenblick galt ihm Grimmas uneingeschränkte Bewunderung, aber auch ihre Besorgnis. Sie sandte ein Stoßgebet zu den Göttern, dass sie ihn nicht im Stich lassen würden.
Styrmir dagegen lief flink, ohne sich aber allzu weit von dem verletzten Gefährten zu entfernen. Er würde sofort zur Stelle sein, falls Bollis stolpern oder gar zusammenbrechen sollte. Zumindest von seiner Seite aus schien ihr Streit beigelegt zu sein. Grimma beobachtete ihn verstohlen und dachte, dass es schade wäre, wenn sie gerade jetzt sterben müssten; schade, weil es das eine oder andere gab, das sie Styrmir gerne noch gesagt hätte. Dass sie seine Tätowierung am Kinn albern fand, zum Beispiel, aber auch ein, zwei freundlichere Dinge. Doch sie war nie besonders gut in diesen Dingen gewesen, und vielleicht war es ja gegen den Willen der Götter, dass sie eine weitere Möglichkeit bekam, sich darin zu üben.
Die runde Öffnung im Boden der Arena, über zehn Schritte im Durchmesser, war in der Dunkelheit kaum mehr als solche zu erkennen. Ebensogut hätte es sich um eine schwarze Rauchwolke oder eine Wasserfläche handeln können. Falls dort wirklich Feinde auf sie warteten, liefen Grimma und die beiden anderen ihnen blind vor die Klingen. Ihr einziger Vorteil war, dass die Nordlinge in der Finsternis noch weniger sehen konnten als sie selbst; so viel immerhin hatten sie während des Krieges im Hohlen Berg herausgefunden.
Sie erreichten den Rand der Öffnung schneller, als sie erwartet hatten. Im gleichen Moment ertönte von den Rängen der Arena ein schriller Alarmruf. Als Grimma aufblickte, erkannte sie eine Gruppe von drei Nordlingen, die dort standen, wo sie, Styrmir und Bollis eben herabgesprungen waren. Die drei Männer hatten ihre Spuren im Schnee entdeckt.
Der Zugang zur Zwergenstraße war augenscheinlich verlassen. Eine steile Rampe führte in die Tiefe. Die Zwerge wollten sie gerade hinablaufen, als von unten das Scharren zahlreicher Füße an ihre Ohren drang.
»Sie haben auf uns gewartet!«, presste Bollis hervor. »Nicht hier draußen, sondern im Tunnel!«
»Dann soll es eben so sein«, gab Grimma verbissen zurück. »Wir können nichts mehr daran ändern.«
Und schon war der erste Feind heran. In der Finsternis war er nicht mehr als ein schwarzer Umriss, breit, kräftig und mit einem schweren Streitkolben bewaffnet. Die Waffe sauste auf Styrmir zu, der sich plump nach hinten fallen ließ, sodass der Kolben über ihn hinwegzischte. Zugleich stieß er die Axt vor, ohne großes Geschick, aber doch kraftvoll genug, um den anderen im Magen zu treffen. Es war gewiss kein tödlicher Treffer, aber er warf seinen Gegner zurück, sodass er stolperte, aufstöhnte und die Rampe hinabpolterte.
Grimma starrte ihm fassungslos hinterher. Der Angreifer war kein Nordling gewesen. Sie hatte nur seine Silhouette sehen können, die Form seines Körpers, doch das reichte aus, um zu erkennen, dass er zu klein war. Zu klein für einen Nordling, zu klein auch für einen gewöhnlichen Menschen. Ein Kind aber hätte niemals den Streitkolben mit solcher Kraft handhaben können.
»Zwerge!«, entfuhr es Bollis, der die gleiche Beobachtung gemacht hatte. »Es sind Zwerge wie wir!«
»Warum kämpfen sie auf der Seite der Nordlinge?«
Styrmir sprang auf und packte seine Axt mit beiden Händen. Keiner wusste eine Antwort auf seine Frage.
Der stürzende Angreifer hatte die Attacke ihrer Gegner für kurze Zeit aufgehalten, als er einige von ihnen mit sich nach unten riss. Erst jetzt stürmten die nächsten die Rampe herauf, stürzten sich wortlos auf Grimma und Bollis. Es waren zwei, und sie wussten mit ihren Waffen umzugehen, dennoch hatten sie den Kriegern vom Hohlen Berg nichts entgegenzusetzen. Grimmas Axt spaltete dem einen Helm und Schädel – ein gehörnter Helm, wie ihn die Nordlinge trugen –, während Bollis dem anderen seine Waffe tief in den Brustkorb hieb.
Von unten ertönten weitere Schritte, noch mehr Zwerge kamen herauf, während auf den Rängen ein halbes Dutzend Nordlinge zusammenströmte und sich auf den Weg zum Boden der Arena machte.
Grimma blieb keine Zeit, sich Gedanken zu machen, weshalb sie plötzlich gegen ihresgleichen kämpften. Unbändige Wut überkam sie, Hass auf die Mörder ihrer Gefährten. Ob Zwerge oder Nordlinge oder gar die Götter selbst – in diesem Augenblick hätte sie es
Weitere Kostenlose Bücher